14.-15. Oktober 1922: Der 3. Deutsche Tag in Coburg, Teil II

Deutscher Tag 14.-15. Oktober 1922 in Coburg, abgebildet u.a.: Adolf Hitler, Ulrich Graf, Julius Schreck, Christian Weber, Wilhelm Brückner. (Bild: Bayerische Staatsbibliothek München / Fotoarchiv Hoffmann)

Am Sonntag zog Hitler mit seiner SA und zahlreichen Anhängern – insgesamt rund 200 Personen – zur Veste Coburg und setzte sich damit über die Auflagen zum „Deutschen Tag“ hinweg. Der erst für eine Stunde später geplante offizielle Zug des „Deutschen Tages“ zur Veste fiel dadurch aus. Auf der Festung fand vor Hitler und seinem Stab ein Vorbeimarsch der SA-Hundertschaften statt. Danach hielt der Führer der Nationalsozialisten eine kurze Ansprache.[1] Auf der Veste kam es auch zu einer Unterredung zwischen Hitler und Herzog Carl Eduard. Über den Gesprächsinhalt ist leider nichts bekannt, aber seitdem stand der Herzog vollends auf Seiten der Nationalsozialisten.[2] Bei der Rückkehr Hitlers in die Stadt ereignete sich auf dem Schlossplatz eine kleinere Schlägerei zwischen der SA und Gegendemonstranten. Dass es zu keiner größeren Auseinandersetzung kam, hing damit zusammen, dass dem Aufruf der linken Kräfte, am Sonntag auf dem Schlossplatz eine große Gegendemonstration abzuhalten, nur sehr wenig Menschen gefolgt waren.[3]

Der Sonntag brachte auch antisemitische Ausschreitungen mit sich. Da in Coburg das Gerücht kursierte, dass der jüdische Kommissionsrat Abraham Friedmann Linksextremen ca. 100.000 RM (Beginn der Hyperinflation) zur Verfügung gestellt habe, damit sie die Veranstaltungen des „Deutschen Tages“ störten, demonstrierten mehrere SA-Leute vor seinem Haus und bedrohten sein Leben. Die Polizei löste die Demonstration auf, ohne irgendwelche Personen festzunehmen.[4]

Den Abschluss des „Deutschen Tages“ bildete eine Veranstaltung im Hofbräuhaus. Gegen 22 Uhr zogen Hitler und sein Anhang unter dem Jubel der Coburger dann zum Bahnhof, bestiegen ihren Zug und fuhren nach München zurück.[5] Hitler hatte durch sein fanatisches Auftreten tiefen Eindruck bei den, wie die vorangegangenen Wahlen zeigten, mehrheitlich national gesinnten Coburgern gemacht. Die Nationalsozialisten, vor allem die SA, hatten sich als schlagkräftige Truppe erwiesen, die auch vor Gewalt gegen ihre Gegner nicht zurückschreckte.[6]

Der „3. Deutsche Tag“ in Coburg hatte nach den vielen Schlägereien zum einen ein gerichtliches Nachspiel, zum anderen führten die Geschehnisse zu einer erregten Debatte im bayerischen Landtag. Coburger Sozialdemokraten und Kommunisten hatten in sieben Fällen Anzeige gegen SA-Männer wegen Körperverletzung erstattet. Zwar führte dies zu einer Vernehmung von Hitler selbst, zu einer Anklage kam es jedoch nicht.[7]

In einer Grundsatzdebatte am 21. und 22. November 1922 befasste sich der bayerische Landtag mit den Ereignissen in Coburg.[8] Dabei vertrat die SPD den Standpunkt, dass die Vorgänge in Coburg einzig und allein Schuld der radikalen Rechten im Land und damit der konservativen Regierung selbst seien. Die Sozialdemokraten warfen der Regierung nicht zu Unrecht eine einseitige Haltung vor: Sie würde die nationalen Kreise bevorzugen und die politische Linke benachteiligen. Die Konservativen im Landtag machten indessen die Coburger Arbeiter für die Ausschreitungen verantwortlich. Des Weiteren verteidigten sie während der Debatte die Ansprüche der NSDAP auf Bewegungs- und Versammlungsfreiheit nach ihrem Verständnis. Der Staat könne nur eingreifen, wenn die NSDAP die gesetzlichen Grenzen und Freiheiten verletze.[9]

Die größten Profiteure des „Deutschen Tages“ waren die Nationalsozialisten. Zum einen bekamen sie durch ihr Verhalten in Coburg ein gewaltiges Presseecho und wurden so schlagartig im ganzen Reich bekannt. Zum ersten Mal waren Hitler und seine Mannen außerhalb von München aktiv geworden, und hatten dort keinen Kampf gegen die Linke gescheut und diese zumeist auch zu ihren Gunsten entschieden.[10]

Zum anderen war der „Deutsche Tag“ für Hitler sehr lehrreich. Er hatte hier gesehen, dass Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung zum Erfolg führen konnte.[11] Hitler schrieb dazu in „Mein Kampf“: „Die Erfahrungen von Koburg hatten aber noch weiter die Bedeutung, daß wir nun daran gingen, planmäßig in allen Orten, in denen der rote Terror seit vielen Jahren jede Versammlung Andersdenkender verhindert hatte, diesen zu brechen und die Versammlungsfreiheit herzustellen. Ab jetzt wurden immer wieder nationalsozialistische Bataillone in solchen Orten zusammengezogen, und allmählich fiel in Bayern eine rote Hochburg nach der anderen der nationalsozialistischen Propaganda zum Opfer.“[12] Somit stellte der „3. Deutsche Tag“ einen Wendepunkt in der Geschichte der NSDAP dar.[13] Hitlers Selbststilisierung des „Zuges auf Coburg“ ist aber entgegenzuhalten: In Coburg mit seiner rechten Stadtratsmehrheit war alles andere als ein linker Terror anzutreffen gewesen.

Eine Folge des kompromisslosen Auftretens Hitlers war die Gründung einer Ortsgruppe der NSDAP in Coburg.[14] Des Weiteren hatte das Auftreten von Hitler dem völkisch-antisemitischen Geist in Coburg weiteren Vorschub geleistet.[15]

Der große Verlierer des „Deutschen Tages“ war dessen Veranstalter, nämlich der DVSTB. Zwar hatte die Veranstaltung die gewünschte Radikalität und auch das erhoffte Presseecho, doch das Interesse galt alleine der NSDAP. Der DVSTB versank langsam, aber unaufhaltsam in der Bedeutungslosigkeit.[16]


[1] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 105; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 81.

[2] Popp, Steffen: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931: Die Etablierung des völkischen Antisemitismus und der Aufstieg der NSDAP. Offenbach am Main o. J. (Online unter: https://www.complifiction.net/wp-content/uploads/2012/03/Coburgs-Weg-ins-Dritte-Reich.pdf. Stand: 06. Januar 2010). S. 9, 25; „Voraus zur Unzeit“. S. 46.

[3] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 81;Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 105.

[4] Ebenda, S. 105;Fromm, Hubert: Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal. Coburg 2001. S. 21.

[5] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 106; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 80f.

[6] Ebenda, S. 80-81;Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 106.

[7] Ebenda, S. 109;Fromm: Die Coburger Juden. S. 21.

[8] Für das Sitzungsprotokoll siehe: Verhandlungen des Bayerischen Landtags. III. Tagung 1922/1923. Stenographische Berichte Nr. 144 bis 179. 144. Sitzung am 8. November 1922 bis zur 179 Sitzung a, 9. März 1923. VII. Band. München 1923. S. 166ff. (Online unter: http://geschichte.digitale-sammlungen.de/landtag1919/seite/bsb00008683_00212. Stand: 29. Januar 2010).

[9] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 111; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 82.

[10] „Voraus zur Unzeit“. S. 35; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 81f.; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 25f.

[11] Albrecht: Deutscher Tag, Coburg, 14./15. Oktober 1922.

[12] Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. Zweiter Band: Die nationalsozialistische Bewegung. München 1936. S. 618.

[13] Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 26.

[14] Albrecht: Deutscher Tag, Coburg, 14./15. Oktober 1922.

[15] Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 26f.

[16] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 82.

Teil I