14.-15. Oktober 1922: Der „3. Deutsche Tag“ in Coburg, Teil I
Deutscher Tag 14.-15. Oktober 1922 in Coburg, abgebildet u.a.: Adolf Hitler, Ulrich Graf, Julius Schreck, Christian Weber, Wilhelm Brückner. (Bild: Bayerische Staatsbibliothek München / Fotoarchiv Hoffmann)
Am 24. Juni 1922 wurde Reichsaußenminister Walther Rathenau durch zwei Attentäter, die dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (DVSTB) und der Organisation Consul angehörten, ermordet. Der DVSTB wurde daraufhin reichsweit verboten. Nur die bayerische Regierung vollzog das Verbot nicht und ließ den DVSTB weiter bestehen. Um demonstrativ Flagge zu zeigen und seinen antisemitischen Kampf fortzusetzen, plante der DVSTB, nach 1920 in Weimar und 1921 in Detmold, einen weiteren „Deutschen Tag“ abzuhalten. Aufgrund des Verbots in allen anderen Teilen des Reiches kam nur Bayern als Veranstaltungsland infrage. Da der DVSTB in Coburg eine große Anhängerschaft hatte und sich der dortige Gauleiter des DVSTB Nordbayern und Führer des Bundes in Coburg, der Lehrer Hans Dietrich, für Coburg als Veranstaltungsort einsetzte, bekam die Stadt den Zuschlag für die Abhaltung des „3. Deutschen Tages“ und Dietrich den Auftrag, diesen zu organisieren.[1]
Da Dietrich aufgrund der in seinen Augen mangelnden Radikalität des DVSTB unzufrieden war und einen zu harmlosen bzw. nicht genügend Aufmerksamkeit erregenden Verlauf der Veranstaltung befürchtete, lud er neben allen völkischen Verbänden Deutschlands und des deutschsprachigen Mitteleuropas auch die Münchner NSDAP und Adolf Hitler ein. Da Hitler und seine Mannen wegen ihrer Kompromisslosigkeit schon außerhalb Münchens bekannt waren, versprach sich Dietrich damit eine Verstärkung des aktionistischen Elements.[2]
Hitler nahm die Einladung dankend an, da er durch Teilnahme der NSDAP die Chance sah, seine Bewegung auch außerhalb Münchens und Bayerns bekannt zu machen.[3] Um richtig Eindruck zu machen, plante Hitler, mit einem Sonderzug und mehreren hundert Mann nach Coburg zu kommen. Die Ankündigung dieses NS-Sonderzuges löste bei der Coburger Sozialdemokratie schärfste Proteste aus, da man ein gewaltsames Auftreten der NSDAP und vor allem der SA erwarten musste. Deshalb beantragten die Coburger Sozialdemokraten bei der Regierung von Oberfranken in Bayreuth, den „Deutschen Tag“ zu verbieten. Die Regierung wollte die Veranstaltung aber nicht komplett untersagen, da man keine rechtliche Grundlage für ein Verbot von Veranstaltungen der Rechtsparteien und nationalen Verbände in Bayern sah und man sich offensichtlich auch scheute, eine schon genehmigte Veranstaltung wieder abzusagen. Deshalb entschied man sich für einen Kompromiss: Der „Deutsche Tag“ sollte stattfinden, allerdings mit Auflagen. So wurde Hitler und seinen Mannen verboten, in geschlossener Marschordnung, mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel vom Bahnhof in die Innenstadt zu ziehen.[4]
Am Samstag, dem 14. Oktober, begann der „3. Deutsche Tag“ in Coburg. Bis zu diesem Tag waren rund 3.000 Teilnehmer angereist. Am folgenden Sonntag sollte ihre Anzahl auf 4.000 steigen. Die Teilnehmer waren aus allen Teilen Deutschlands und dem deutschsprachigen Ausland nach Coburg gereist.[5]
Den Höhepunkt bildete am Samstag die Anreise Adolf Hitlers und seiner Anhänger. Dieser traf mit seinem Sonderzug besetzt mit etwa 800 SA-Männern in Coburg ein.[6] In der Stadt war die Spannung bereits vor der Ankunft des Hitlerzuges auf den Höhepunkt gestiegen. Auf dem Bahnhofsvorplatz hatten sich rund 200 Demonstranten versammelt, die den Nationalsozialisten einen gebührenden Empfang bereiten wollten. Als der Zug dann eingetroffen war, überbrachte Dietrich Hitler die Auflagen der Regierung. Hitler lehnte diese jedoch brüsk ab. Der Führer der Nationalsozialisten dachte gar nicht daran, diese Auflagen zu akzeptieren und zog mit Musik und wehenden Fahnen in die Stadt ein. Zuvor hatten die SA-Leute noch Teilnehmer der Gegendemonstration verprügelt. Auf dem Marsch in die Stadt kam es zu weiteren Straßenschlachten, die von der Polizei nicht unterbunden wurden. Zu tief saßen noch die Eindrücke vom „Coburger Blutsonnabend“, wo die Landespolizei mit großer Brutalität und unter Gebrauch der Schusswaffe einen sozialdemokratischen Demonstrationszug verhindert hatte.[7] Allerdings hatte es sich dabei um ein Vorgehen gegen die Linke gehandelt, während man gegen Rechtsverbände wesentlich nachsichtiger war.
Am Abend des 14. Oktober sprach Hitler in Anwesenheit des ehemaligen Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha und dessen Gemahlin vor 2.500 bis 3.000 Personen im Hofbräuhaus. In seiner Rede enthielt sich Hitler radikaler antisemitischer Äußerungen. Er prangerte nur die politische und moralische Not des Volkes an. Des Weiteren geißelte er die Gesinnungs- und Charakterlosigkeit sowie Feigheit, die das deutsche Volk ergriffen habe, und die Würdelosigkeit der Gesamtsituation des deutschen Volkes. Vor und während der Veranstaltung kam es vor dem Eingang der Gaststätte immer wieder zu Schlägereien zwischen SA-Leuten und Arbeitern. Auch in der Nacht zum Sonntag folgten immer wieder Zusammenstöße zwischen Nationalsozialisten und ihren Gegnern.[8]
[1] Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 79; Albrecht, Joachim: Deutscher Tag, Coburg, 14./15. Oktober 1922. In: Historisches Lexikon Bayerns. Online unter: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44472. (Stand: 10. Januar 2010); Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. Coburg 1969. (= Coburger Heimatkunde und Landgeschichte. Reihe II. Heft 22). S. 93.
[2] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 79; „Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 34.
[3] Finzel, Frank / Reinhart, Michael: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. Hauptwege, Nebenwege, Irrwege. Stuttgart 1996. S. 89, 289.
[4] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 96ff.; Asmalsky, Ludwig: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. Unveröffentlichte Zulassungsarbeit zur Prüfung für das Lehramt an den Gymnasien in Bayern an der Universität Würzburg. Würzburg 1969. S. 29.
[5] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 99.
[6] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 80.
[7] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 100-102; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 80.