1929-1933: Die nationalsozialistische Kommunalpolitik 1929-1933, Teil I

Die Stadtratswahlen vom 23. Juni und vom 8. Dezember 1929 hatten den Nationalsozialisten 13 Sitze im Coburger Stadtrat und damit die Mehrheit in diesem Gremium gebracht. Die NSDAP konnte ihre politischen Vorstellungen im Stadtparlament aber nicht in vollem Umfang durchsetzen, da neben den 25 Stadträten auch die beiden Bürgermeister und in Bau- bzw. Wohlfahrtsfragen zusätzlich noch der Baurat bzw. der Rechtsrat stimmberechtigt waren. Damit stand im Konfliktfall das Mehrheitsverhältnis im Stadtrat 13 zu mindestens 14 Stimmen gegen die Nationalsozialisten. Der NSDAP kam diese Situation jedoch nicht ganz ungelegen, denn so mussten sie keines ihrer angekündigten Patentrezepte zur Lösung aller Probleme der Coburger offenbaren und konnten weiter die Oppositionsrolle spielen. Dies bedeutete, dass sie die Stadtratssitzungen für effektvolle Reden zur allgemeinen Politik und Angriffe auf den politischen Gegner nutzten. Die eigentliche Kommunalpolitik spielte bei den Nationalsozialisten eine untergeordnete Rolle.[1] Trotz dieser recht komfortablen Lage versuchten die Nationalsozialisten in der Folge aber alles, um die absolute Mehrheit im Stadtrat und damit die Macht in Coburg zu erlangen, damit sie ihre politischen Vorstellungen ungehindert umsetzen konnten und sich ihre Bewegung nicht totlief.[2]

Um die Mehrheit im Stadtrat zu erlangen, setzten sich die Nationalsozialisten für die Schaffung einer dritten ehrenamtlichen Bürgermeisterstelle ein. Das Kalkül dahinter bestand darin, eine Stimme mehr im Stadtrat zu bekommen, denn sofern ein Nationalsozialist Dritter Bürgermeister werden sollte, wäre ein weiteres NSDAP-Mitglied in den Stadtrat nachgerückt. Dies hätte zwar nur zu einem Stimmenverhältnis von 14 zu 14 geführt; doch da der Erste Bürgermeister, Erich Unverfähr, und der Zweite Bürgermeister, Ernst Altenstädter, aufgrund der ständigen verbalen Angriffe der Nationalsozialisten häufig krank waren – sie waren dem Druck nervlich nicht gewachsen – und dementsprechend oft in Stadtratssitzungen fehlten, hätte sich das Stimmverhältnis im Stadtrat auf 14 zu 13 oder gar 14 zu 12 für die NSDAP drehen können. Dadurch hätten sie die absolute Mehrheit gehabt. Im August 1930 gelang es den Nationalsozialisten nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich die DNVP-Stadträte Rehlein und Güntzel für die Schaffung einer dritten Bürgermeisterstelle zu gewinnen. So wurde am 25. August 1930 schließlich Franz Schwede, der Führer der Coburger NSDAP, zum Dritten Bürgermeister gewählt.[3]

Nachdem die Nationalsozialisten die Mehrheit im Stadtrat erlangt hatten, gingen sie dazu über, ihre früheren Agitationsanträge rücksichtslos in die Tat umzusetzen, um ihre Macht und zugleich ihre soziale, bürgerfreundliche Haltung in den Notzeiten der Weltwirtschaftskrise zu demonstrieren. In der Zeit vom 13. bis 20. September 1930 beschlossen sie zum Beispiel die Streichung der Sitzungsgelder für Stadträte, einen Erlass der Straßenreinigungs- und Feuerschutzabgaben und eine Herabsetzung der Gewerbe-, Grund- und Haussteuer von 400 % auf 300 %.[4]

Diese Geschenke an die Coburger und die schamlose Selbstbedienung der Nationalsozialisten ruinierten die Finanzen der Stadt. Dies war aber auch so geplant, denn die Nationalsozialisten wollten durch eine aus dem Ruder laufende kommunale Finanzpolitik für Steuerausfälle bei den Reichssteuern sorgen, um so die verhasste Weimarer Republik zu diskreditieren.[5]

Die oben genannten Steuergeschenke an die Coburger führten dazu, dass die Nationalsozialisten im Stadtrat einen defizitären Haushalt verabschieden mussten. Schwede und seine Mannen spekulierten darauf, entweder höhere Ausgleichszahlungen vom bayerischen Staat zu bekommen, oder dass die Regierung von Oberfranken die Wiedereinführung der bisherigen Steuern bzw. Steuersätze anordnen würde. Im letzteren Fall konnte man die Verantwortung für unpopuläre Maßnahme dem politischen Gegner aufbürden und sich selbst als sozial darstellen; und so kam es dann auch.[6] Im Jahr 1929 verlor die Stadt Coburg ihre finanzielle Selbstverwaltung und wurde unter Staatsaufsicht gestellt. Nachdem man im folgenden Haushaltsjahr 1930/31 erneut einen defizitären Haushalt vorlegte, ordnete die Regierung in Bayreuth eine Erhöhung bestimmter Umlagen, Abgaben und Gebühren an. Auch im folgenden Haushaltsjahr bekamen die Nationalsozialisten den Haushalt nicht in den Griff. Wieder schritt die Kreisregierung in Bayreuth ein und erhöhte erneut Steuern und Abgaben. Daraufhin machten die Nationalsozialisten der Regierung den Vorwurf der „sozialen Kälte“.[7]


[1] Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 125.

[2] Asmalsky, Ludwig: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. Unveröffentlichte Zulassungsarbeit zur Prüfung für das Lehramt an den Gymnasien in Bayern an der Universität Würzburg. Würzburg 1969. S. 57.

[3] „Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 15f., 108.

[4] Ebenda, S. 16, 111.

[5] „Voraus zur Unzeit“. S. 28; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 97.

[6] „Voraus zur Unzeit“. S. 16, 111; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 149.

[7] Ebenda, S. 150-151; „Voraus zur Unzeit“. S. 111f.

Teil II