1928-1929: Die Friedmann-Affäre

Der jüdische Generaldirektor der Großschlächterei C. Großmann AG in Coburg, Abraham Friedmann, war aufgrund seiner Religion und seiner gesellschaftlichen Position ein „Lieblingsopfer“ der Nationalsozialisten. Schon während des „3. Deutschen Tages“ vom 14. bis 15. Oktober 1922 wurde Friedmann von den Nationalsozialisten verdächtigt, linke Randalierer bezahlt zu haben, um ihre Veranstaltung zu stören. Daneben musste sich Friedmann in der Folge gegen Angriffe auf seine persönliche Ehre wehren. Die Nationalsozialisten warfen ihm Feigheit im Ersten Weltkrieg vor und dass er ein Kriegsgewinnler sei.[1] In der nationalsozialistischen Tageszeitung „Der Weckruf“ hieß es diesbezüglich: „Während der deutsche Frontsoldat 4 ½ Jahre an der Front im Dreck der Schützengräben und Granattrichter mit seinem Blut und Leben die Heimat schützte, hat der Jude, der Fremdrassige, sich als Funktionär der Rathenauschen Kriegsgesellschaften gemästet und seine Beute in Sicherheit gebracht.“[2]

Ihren Höhepunkt erreichten die Angriffe auf Friedmann im Jahre 1928. Da Friedmann die ständigen Anfeindungen des „Weckrufs“ satt hatte, verklagte er das Blatt und erwirkte eine einstweilige Verfügung. Die Nationalsozialisten mit ihrem Anführer Franz Schwede interessierte dies jedoch wenig. Sie machten weiter mit ihren Angriffen, die darin gipfelten, dass man Friedmann bezichtigte, über den Kopf der zuständigen städtischen Stellen hinweg bei der Staatsregierung den Kommerzienratstitel kaufen zu wollen.[3] Die Nationalsozialisten stellten deswegen einen Antrag im Stadtrat. Darin wurde gefordert, dass die entsprechenden Gerüchte zu überprüfen seien, und falls es der Wahrheit entspreche, man alles Erdenkliche tun müsse, um dies zu verhindern. Da es eine Beleidigung wäre, „wenn“, so Schwede, „diesem Juden, der sich vom Frontdienst offenbar gedrückt hat und während der Zeit, wo zwei Millionen Deutsche draußen ihr Leben für Deutschland opferten, es verstanden hat, auf Kosten der Allgemeinheit Millionär zu werden, auch noch der Kommerzienratstitel verliehen wird.“[4] Daneben wurde weiterhin im „Weckruf“ gegen Friedmann gehetzt.[5]

Friedmann nahm dies zum Anlass, in seiner Eigenschaft als Generaldirektor der C. Grossmann AG, mit der Kündigung des Strom- und Koksbezug seiner Firma von den städtischen Werken zu drohen. Als Begründung führte er aus, dass ein Angestellter der Werke, eben Schwede – er war technischer Angestellter bei den städtischen Werken –, ihn andauernd in der Öffentlichkeit verunglimpfe.[6] Die städtischen Werke reagierten auf diese Drohung und den Verlust eines Großkunden, indem sie Schwede eine Erklärung unterschreiben lassen wollten, in der dieser sich verpflichtete, seine politische Tätigkeit mit seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber in Einklang zu bringen und auch auf seine Parteigenossen dementsprechend einzuwirken. Kurz gesagt, wollte man Schwede verbieten, weiterhin gegen Friedman zu hetzen. Der Nationalsozialist weigerte sich jedoch, eine solche Erklärung zu unterschreiben. Vielmehr machten er bzw. der „Weckruf“ das Vorhaben der städtischen Werke entgegen einer intern getroffenen Absprache öffentlich.[7] In dem betreffenden „Weckruf“-Artikel wurde sogar behauptet, dass Friedmann die Entlassung von Schwede gefordert habe, was jedoch nicht der Wahrheit entsprach.[8]

Aufgrund dieses Artikels und der Weigerung Schwedes, die oben erwähnte Erklärung zu unterschreiben, wurde er auf Beschluss des Stadtrates am 13. Februar 1928 aus dem Dienst der städtischen Werke entlassen.[9]

Die NSDAP reagierte auf die Entlassung Schwedes mit einer beispiellosen Agitations- und Propagandawelle. Dabei versuchten die Nationalsozialisten den vermeintlichen Gegensatz zwischen dem „Juden, Kriegsfeigling und Kriegsgewinnler“ Friedmann und „dem Kriegshelden“ und „Deutschen“ Schwede herauszustellen. Man appellierte also an die „deutsche Ehre“ der Coburger. Des Weiteren wurde die Kündigung Schwedes als ein Angriff auf die gesamte NSDAP gewertet. Damit wurde die „Affäre Friedmann“ endgültig zum Politikum.[10]

Für den 8. März berief die NSDAP eine Protestversammlung ein. Zu der Veranstaltung, der sich auch vaterländische und völkische Verbände anschlossen, erschienen rund 3.000 Personen. Es wurde eine Resolution verabschiedet, in der der Stadtrat aufgefordert wurde, die Kündigung Schwedes zurückzunehmen. Des Weiteren kam man zu dem Schluss, der Stadtrat entspräche nicht mehr dem Willen der Mehrheit der Bürger. Danach kündigte der Nationalsozialist Georg Linke an, dass die NSDAP ein Volksbegehren und einen Volksentscheid über Neuwahlen des Stadtrats initiieren werde.[11] Die Nationalsozialisten wollten die aufgeputschte Stimmung in Coburg nutzen, um daraus politisches Kapital zu schlagen.[12] Dies sollte ihnen auch gelingen, denn die nötigen Unterschriften für das Volksbegehren waren schnell zusammen. So konnte es tatsächlich zu einem Volksentscheid kommen, bei dem die Auflösung des Stadtrates beschlossen wurde. Aus den folgenden Neuwahlen gingen die Nationalsozialisten als strahlende Sieger hervor.

Die „Friedmann-Affäre“ war für die NSDAP ein wahres Geschenk. Zuvor hatten sich nämlich an ihren stereotypen Forderungen nach Diätenkürzung und Steuersenkungen sowie den ständigen Hinweisen auf das kommende Dritte Reich Abnutzungserscheinungen gezeigt. Die „Friedmann-Affäre“ kam genau zum richtigen Zeitpunkt. In einer Zeit, in der sich die nationalsozialistische Bewegung totzulaufen drohte, brachte die Entlassung Schwedes neuen Schwung in die NSDAP und verschaffte ihr die nötige mediale Aufmerksamkeit.[13]


[1] Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 99f.

[2] Weckruf Nr. 28 (1927). Zitiert nach: Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 100.

[3] Fromm, Hubert: Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal. Coburg 2001. S. 38f.;Schneier, Walter: Coburg im Spiegel der Geschichte. Von der Urzeit bis in die Gegenwart. Auf den Spuren von Fürsten, Bürgern und Bauern. Coburg 1986. S. 297; Finzel, Frank / Reinhart, Michael: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. Hauptwege, Nebenwege, Irrwege. Stuttgart 1996. S. 306.

[4] Zitiert nach: Finzel / Reinhart: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. S. 306. Siehe auch: Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 107f.;Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 297;Finzel / Reinhart: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. S. 306.

[5] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 107f.

[6] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 107f.;„Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 104; Popp, Steffen: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931: Die Etablierung des völkischen Antisemitismus und der Aufstieg der NSDAP. Offenbach am Main o. J. (Online unter: https://www.complifiction.net/wp-content/uploads/2012/03/Coburgs-Weg-ins-Dritte-Reich.pdf. Stand: 06. Januar 2010). S. 34;Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 297;Fromm: Die Coburger Juden. S. 39.

[7] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 107f.;Fromm: Die Coburger Juden. S. 39.

[8] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 108;Fromm: Die Coburger Juden. S. 40; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 35; Asmalsky, Ludwig: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. Unveröffentlichte Zulassungsarbeit zur Prüfung für das Lehramt an den Gymnasien in Bayern an der Universität Würzburg. Würzburg 1969. S. 48.

[9] „Voraus zur Unzeit“. S. 104;Fromm: Die Coburger Juden. S. 40; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 108f.; Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 297; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 37.

[10] Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 297; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 110.

[11] „Voraus zur Unzeit“. S. 104; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 110f.; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 37

[12] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 111.

[13] Asmalsky: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. S. 45, 48.