Quo vadis, Coburg? Teil I
Der Freistaat, der 1918 nach dem Wegfall der verfassungsrechtlichen Klammern, also des Herzogs und des Gemeinschaftlichen Landtags von Coburg und Gotha, aus dem Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha hervorgegangen war, hatte rund 74.000 Einwohner, die sich auf eine Grundfläche von 562 km² verteilten. Haupterwerbszweig des Coburger Lands war die Land- und Forstwirtschaft. Die Hauptindustriezweige waren Steingut- und Porzellanfabrikation, die Korb- und Spielwarenherstellung und das Brauereiwesen.[1]
Dass der kleine Freistaat aufgrund dieser Voraussetzungen, einer zunehmenden Finanznot im Lande und Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung, alleine kaum überlebensfähig sein würde, brachten Staatsminister Dr. Hermann Quarck und den Arbeiter- und Soldatenrat schon im Dezember 1918 zu der Einsicht, dass sich Coburg an ein größeres Staatsgebilde anschließen müsse.[2]
Zur Diskussion standen dabei der Anschluss[3]:
- an Bayern,
- an ein „Großthüringen“ unter Einschluss preußischer Gebietsteile,
- an ein „Kleinthüringen“, das heißt an die Gemeinschaft thüringischer Staaten (also ohne preußische Gebiete),
- an Preußen,
- der Zusammenschluss mit den thüringischen Staaten und dann entweder Anschluss an Preußen oder an eine Verwaltungsgemeinschaft mit Preußen,
- der Anschluss an ein „Groß-Sachsen“ gemeinsam mit den übrigen thüringischen Staaten.
Für einen Zusammenschluss mit Preußen sprachen hauptsächlich die verwaltungstechnischen Verbindungen; mit ihm war man zum Beispiel verbunden: im Militärwesen – denn die coburgischen Truppenkontingente unterstanden seit der Militärkonvention von 1867 dem preußischen König- , in der Landwirtschaft, im Schulwesen, das nach preußischem Vorbild organisiert war, im Vermessungswesen und beim Bahnbau. Hierbei hatten die Coburger immer gute Erfahrungen gemacht, sodass diese Lösung nicht von vorneherein ausgeschlossen wurde.[4] Die großen Nachteile eines Anschlusses an Preußen waren, dass sich Coburg zu einem exterritorialen Gebiet entwickelt hätte und die erdrückende Größe Preußens. Vor dem Hintergrund der Reichsreformdiskussion hatte Preußen kein Interesse durch eine Vergrößerung diese Diskussion weiter anzuheizen. Aus diesem Grund lehnte Preußen einen Anschluss Coburgs an sein Territorium ab.[5]
Für einen Anschluss an einen noch zu bildenden Staat „Großsachsen“ ließen sich vor allem historische Argumente ins Feld führen. So gehörten Sachsen und Sachsen-Coburg ehemals zum wettinischen Herrschaftsbereich. Da aber ein Staat „Großsachsen“ noch nicht existierte und es dementsprechend an Gesprächspartnern fehlte, wurde ein solcher Anschluss schnell wieder verworfen.[6]
Durch das Ausscheiden der Optionen Preußen und Großsachsen drehte sich die Anschlussdiskussion im Freistaat Coburg nur noch um die Frage, ob man sich Bayern oder Thüringen, in welcher Form auch immer, anschließen sollte.[7] Als Fürsprecher für einen Zusammenschluss mit Thüringen traten in der Folge der Arbeiter- und Soldatenrat sowie Teile der Sozialdemokratie auf. Der Exponent eines Anschlusses an Bayern war der aus Berlin zurückgekehrte Reichstagsabgeordnete Max Oskar Arnold, ein Industrieller aus Neustadt bei Coburg.[8]
[1] Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. Coburg 1969. (= Coburger Heimatkunde und Landgeschichte. Reihe II. Heft 22). S. 25; Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 63.
[2] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 26f.; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 63.
[3] Hambrecht, Rainer: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 58/59 (1998/1999). S. 371-390. Hier S. 381; „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. Ausstellung des Staatsarchivs Coburg anläßlich der 75. Wiederkehr der Vereinigung Coburgs mit Bayern am 1. Juli 1920. Coburg, den 1. Juli – 1. September 1995. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 1995. S. 117.
[4] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 27;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 374.
[5] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 27;Hambrecht, Rainer: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. In: Ein Herzogtum und viele Kronen. Coburg in Bayern und Europa. Aufsätze zur Landesausstellung 1997 des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlung der Veste Coburg in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Familie und der Stadt Coburg. Hrsg. von Michael Henker und Evamaria Brockhoff. Augsburg 1997. S. 186-196. Hier S. 190.Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 384.
[6] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 117;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 384.
[7] Ebenda, S. 381f.
[8] Schneier, Walter: Coburg im Spiegel der Geschichte. Von der Urzeit bis in die Gegenwart. Auf den Spuren von Fürsten, Bürgern und Bauern. Coburg 1986. S. 275.