1919: Quo vadis, Coburg? Teil II

Für einen Anschluss an Thüringen sprach vor allem die historische Zusammengehörigkeit. So war man ja schon im alten Herzogtum mit Thüringen verbunden gewesen. Die Gründe, die gegen einen Anschluss an Thüringen sprachen, waren aber auch sehr gewichtig. Hier sind vor allem die schlechten Erfahrungen aus der Zeit des Herzogtums und des Ersten Weltkriegs, als man sich von Gotha bzw. Thüringen benachteiligt fühlte, sowie die Erlebnisse aus der Novemberrevolution von 1918, als Gotha eigene Wege einschlug, zu nennen. Vor allem die Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg, als man sich in Coburg vom Kriegsernährungsamt in Weimar übervorteilt fühlte und sich nur durch illegale Hamsterfahrten nach Bayern am Leben halten konnte, prägten die Coburger Sicht auf Thüringen. In Coburg verfestigte sich die Ansicht, dass die Thüringer nur nehmen und die Bayern bereitwillig geben würden. Des Weiteren sprach derselbe Grund, der auch schon gegen „Großsachsen“ gesprochen hatte, auch gegen Thüringen: Es gab noch keinen Staat Thüringen, mit dem man hätte verhandeln können.[1] Zwar nahm der Zusammenschluss der thüringischen Staaten Ende Mai 1919 nach der Vorlage eines Gemeinschaftsvertrags[2] konkretere Formen an, aber es gab noch immer keine autorisierten Organe, die bilaterale Abmachungen hätten schließen können. Auf die Anfrage, ob Coburg an einem Zusammenschluss teilnehmen würde, antwortete die Coburger Landesversammlung, dass man weder „Ja“ noch „Nein“ sagen könne, da während der Revolutionstage den Coburgern versprochen wurde, dass die Anschlussfrage einer Volksabstimmung vorbehalten sei.[3]

Um Coburg nicht an Bayern zu verlieren, rang sich die weimarische Staatsregierung am 6. August 1919 dazu durch, die Kultureinrichtungen in allen thüringischen Staaten erhalten und den Verlust von Behörden und anderen Institutionen ausgleichen zu wollen. Doch auch hier bestand der schon mehrfach erwähnte Schönheitsfehler, dass der Vertreter Weimars, Staatsminister Dr. Paulsen, nur für Weimar und nicht für die übrigen thüringischen Staaten sprach.[4] Das Fehlen eines konkreten Verhandlungspartners, die vagen Zusagen und die im Thüringischen aufkeimenden Hungerrevolten sowie der linksradikale Terror mussten den Anschluss an Thüringen für Coburg immer unattraktiver erscheinen lassen und es mehr und mehr in die Arme Bayerns treiben.[5]

Für einen Anschluss an Bayern sprachen neben der Stammesverwandtschaft – die Coburger waren Franken – vor allem die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Coburg und Bayern sowie die aus Sicht der Coburger sehr guten wirtschaftlichen Verhältnisse und die zu erwartende gute Lebensmittelversorgung in Bayern. Auch die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, wo viele Coburger nur durch Hamsterfahrten ins benachbarte Bayern überlebten, dürfen hier nicht vergessen werden. Argumente gegen einen Anschluss an Bayern gab es nicht und so stellte Max Oskar Arnold schon im November 1919 fest: „Die Coburger Bevölkerung gravitiert mit ihren Interessen nach Bayern.“[6] Aufgrund dieser Einsicht unternahm Arnold erste private Sondierungsgespräche mit Bayern. Während der Regierungszeit von Ministerpräsident Kurt Eisner und den sich anschließenden „Rätewirren“ blieben diese Gespräche jedoch ohne Ergebnis. Aber immerhin hatte sich Eisner bereit erklärt, sich das coburgische Anliegen anzuhören.[7]

Das erste ernst zu nehmende Gespräch zwischen Bayern und Coburg fand am 12. Juni 1919 in der Bamberger „Harmonie“ statt. Der bayerische Justizminister Dr. Ernst Müller(-Meiningen) hatte zu diesem unverbindlichen Gespräch geladen. Zuvor, im Mai 1919, war man von coburgischer Seite noch an der mangelnden Gesprächsbereitschaft von Ministerpräsident Johannes Hoffmann gescheitert. Dieser konnte sich zu diesem Zeitpunkt, als in Bayern die „Rätewirren“ herrschten und die Regierung nach Bamberg fliehen musste, nicht vorstellen, dass sich ein Land freiwillig an Bayern anschließen wollte. Nachdem die Regierung Hoffmann aber langsam wieder ihre Handlungsfreiheit zurückerlangte und auch wieder Zeit für derlei Angelegenheiten hatte, war man bereit, mit Coburg über die Anschlussfrage zu sprechen.[8]

Bei den Gesprächen in der Bamberger „Harmonie“ sollte es zunächst nur darum gehen, zu sondieren, unter welchen Bedingungen sich Coburg an Bayern anschließen würde. Hoffmann signalisierte aber schon zu Beginn der Gespräche, dass er bzw. Bayern eine Angliederung Coburgs sehr gerne sehen würde. Aufgrund dieses guten Gesprächsklimas kam man sehr schnell zu den Kernpunkten. Die Coburger forderten bei einem vollständigen Aufgehen des Freistaates Coburg im Freistaat Bayern weitgehende Besitzstandsgarantien, vor allem für den kulturellen Sektor , d. h. für Schulen, Museen und Theater, einen Ersatz für das entfallende Staatsministerium, bessere Verkehrsanbindungen und die Integration in die bayerische Ernährungswirtschaft.[9] Die genauen Forderungen Coburgs fasste Dr. Hans Schack in einem Programm, den sogenannten „Bamberger Stipulationen“ (Stipulation = Abmachung, Übereinkunft, Zusage, Versprechen) zusammen. Sie beinhalteten die folgenden Punkte[10]:

  1. Erhaltung des bisherigen Hoftheaters und aller anderen in der Obhut einer Landesstiftung befindlichen Kulturgüter und ehemaligen herzoglichen Domänen Coburgs,
  2. Errichten einer Staatsanstalt für das wegfallende Staatsministerium,
  3. Beibehalten der staatlichen Bildungsanstalten,
  4. Hinwirken des bayerischen Staates auf den Bau einer Eisenbahnstrecke zwischen Rodach und Königshofen,
  5. Beibehaltung der Garnison,
  6. Beibehaltung der bisherigen Amtsgerichte,
  7. Zulassung der Coburger Rechtsanwälte beim Landgericht Bamberg,
  8. Ausbau der Handwerkskammer Coburg,
  9. Sicherung der Rechte der Coburger Beamten,
  10. Drei Sitze und Stimmen für Coburger Abgeordnete im bayerischen Landtag bis zur nächsten Landtagswahl in Bayern.

Von bayerischer Seite sicherte man Coburg als Antwort auf die „Bamberger Stipulationen“ zu, dass man bereit sei, die Forderungen, soweit sie nicht in absehbarer Zeit in die Zuständigkeit des Reiches – wie z.B. das Verkehrswesen – fallen würden, erfüllen wolle.[11]

Am 11. Juli 1919 setzten Coburg und Bayern ihre Verhandlungen fort. Die Gespräche bewegten sich im Rahmen der „Bamberger Stipulationen“. Endgültig einig wurden sich Bayern und Coburg bei der dritten Gesprächsrunde, die Ende Juli 1919 in Bamberg stattfand. Am 28. des Monats kam eine grundsätzliche Einigung zwischen den beiden Verhandlungsparteien zustande. Dabei wurden die „Bamberger Stipulationen“ nur geringfügig geändert. Diese Abweichungen betrafen vor allem die Coburger Domänen, die nunmehr nicht mehr auf die Landesstiftung, sondern auf den Staat übergehen sollten, wobei dieser die Hälfte des Reinertrags der Stiftung zuwenden würde, außerdem das Landestheater, das nicht mehr als Landeseinrichtung, sondern als städtische Einrichtung mit einem staatlichen Zuschuss von 50.000 Mark und von 40 Prozent eines etwaigen Fehlbetrags betrieben werden sollte. Die Landesstiftung erhielt das Nutzungsrecht an den Gebäuden, in denen sich die von ihr betreuten Sammlungen und Einrichtungsgegenstände befanden. Des Weiteren versprach Bayern Coburg die Errichtung eines Landgerichts als Ersatz für das wegfallende Staatsministerium, die Erhaltung der Handwerkskammer-Abteilung Coburg als eingenständige Handwerkskammer und der Handelskammer. Auch wollte Bayern die Verkehrsverbindungen Coburgs verbessern bzw. ausbauen, soweit dies nicht in die Zuständigkeit des Reichs fiel.[12] Damit hatten die Verhandlungen einen vorläufigen Abschluss gefunden.[13] Bayern und Coburg hatten sich über die Konditionen für ein Aufgehen des Coburger Landes in Bayern geeinigt. Nun lag es am bayerischen Landtag und an der Coburger Bevölkerung, ob Coburg wirklich ein Teil von Bayern werden sollte.

Sämtliche Fraktionen des bayerischen Landtags stimmten am 31. Juli 1919 der Übereinkunft mit Coburg zu.[14] Die Coburger Landesversammlung konnte sich nach dem Abschluss der Verhandlungen mit Bayern und der Zustimmung der Fraktionen des bayerischen Landtags an die Vorbereitungen für die während der Revolutionstage versprochene Volksabstimmung machen. Am 30. Oktober 1919 beschloss sie nach erheblichen innenpolitischen Turbulenzen ein „Gesetz über eine im Freistaat Coburg vorzunehmende Volksbefragung“. Als Termin für die Volksbefragung wurde der 30. November 1919 festgelegt.[15]

Abschließend muss nochmals ein kurzer Blick auf die Frage „Warum Bayern Coburg so bereitwillig aufnahm?“ geworfen werden. Ein Anschluss Coburgs bedeutete für Bayern zum einen eine Stärkung des Nordens des Landes. Zum anderen konnte es als gewisser Ersatz für die linksrheinische bayerische Pfalz dienen, die ab 1920 für 15 Jahre von Bayern abgetrennt werden sollte. Hinzu kam auch noch der außerordentlich günstige psychologische Effekt für die bayerische Regierung. Bedeutete doch das Anschlussgesuch Coburgs, dass ein Teilgebiet des Deutschen Reiches sich trotz der bestehenden politischen Wirren zu Beginn der Gespräche Vertrauen in die Kraft und Stärke Bayerns hatte. Für Bayern bedeutete ein Anschluss Coburgs einen wirtschaftlichen Gewinn und eine Steigerung des eigenen Prestiges.[16]

[1] Hambrecht: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. S. 188;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 376-377.

[2] Sammlung der Gesetze und Verordnungen für Sachsen-Meiningen Bd. 2ff. (1915-1921). S. 273-275. Nach Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 382.

[3] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 124;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 382f.

[4] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 126, 129.

[5] Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 382; Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 30.

[6] Cobuger Tageblatt v. 15. November 1918 Abendausgabe. Zitiert nach: Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 381 und „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 118.

[7] Franz J. Bauer, Die Regierung Eisner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Dokumente (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 1. Reihe, Bd. 10). Düsseldorf 1987, S. 41, 151f.

[8] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 124, 126.

[9] Ebenda, S. 124f., 127;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 382;Hambrecht: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. S. 191.

[10] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 37f.;Finzel, Frank / Reinhart, Michael: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. Hauptwege, Nebenwege, Irrwege. Stuttgart 1996. S. 208f.

[11] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 127f.

[12] Ebenda, S. 125f., 135f.;Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 39.

[13] Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 383.

[14] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 126, 136;Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 277; Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 39.

[15] Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 277.

[16] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 36.

Teil I