Willy Stahn 3 – Vom Landei zum homo faber

Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft kehrte er nach Hause zurück. Der Vater, der inzwischen fast 69 Jahre (geb. am 04.11.1850) alt war, hatte auf ihn gewartet, um ihm die Übernahme des Hofes anzubieten. Inzwischen war sich Willy aber sicher, dass er kein Landwirt werden wollte. So war die ge­samte Jahresernte in den letzten Jahren kurz hinter einander einmal total verregnet und einmal ver­trocknet, also zweimal die Ernte nahezu vernichtet worden. Originalton Papa: „Ich bin nicht Landwirt geworden, weil ich nicht ein ganzes Jahr umsonst arbeiten will“. Daher lehnte er den Vorschlag des Vaters ab und bekannte, dass er stattdessen. wie er in seinem Inneren wohl schon länger beschlossen hatte, Ingenieur werden wolle. Der Vater war damit absolut nicht einverstanden. Von Technik hielt er nicht so viel. So hatte er z.B. das Gebrauchsmuster für die Kartoffelsetzvorrichtung am Pflug (Eintra­gung in der Gebrauchsmusterrolle 20.10.1916 auf den Namen des Vaters) nicht verlängert, während Willy an der Front war.

Als Alternativen, deren Ausbildung er finanzieren würde, schlug er den Lehrer oder den Kaufmann vor. – Kaufmann war. damals für Coburger vermutlich ein Traumberuf orientiert an der literarischen Hoch­schätzung des „ehrbaren Kaufmanns“ á la Gustav Freytag, der zum Beginn des Jahrhunderts Mode- und Lieblingsautor in Coburg war. – Beide Vorschläge lehnte Willy ab, was bedeutete, dass er ohne Unterstützung des Vaters auskommen musste. (Deswegen sagte er später immer: „Meine Kinder sollen sich einmal den Beruf auswählen können, den sie wollen.“)

Konsequent, wie er war, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, meldete er sich kurz nach Weih­nachten 1919 dann zum Besuch des Technikums in Mittweida an (Eintrittsdatum 1. April 1920). Die Anmeldegebühren waren für damalige Zeit mit DM 365,- nicht unerheblich. Mittweida war eine re­nommierte, privat wirtschaftende Bildungseinrichtung. – Vielleicht hat der Vater dann doch zumindest diese Zahlung und eine weitere für Unterrichtsgeld übernommen, worauf die handschriftlich vom Vater ausgefüllten Einzahlungsabschnitte für die Jahre 1920 und 1921 hindeuten. –

Eine gewisse Geldquelle ergab sich für Willy durch den Erbvertrag des väterlichen Hofes vom 20.03.1920, den die Schwester Auguste übernahm. Der Vertrag verpflichtete sie, die Geschwister an­teilig auszubezahlen. So erhielt Papa während seines Studiums das eine und andere Mal geldliche Zu­wendungen von dieser Schwester. Ob er damit den ihm zustehenden Erbanteil vollständig erhalten hat, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Grundsätzlich jedenfalls musste Papa während seines Studiums mit sehr wenig Geld auskommen und er nutzte alle Gelegenheiten zum Geldverdienen während des Studiums. (s.u.)

{ Exkurs: Wie leider häufiger üblich waren die Geschwister im Nachhinein mit dem Erbgang nicht zu­frieden. So ist ev. ein Teil des Erbes mit schlechterem Geld (Inflation) bezahlt worden. Außerdem wa­ren einige auch aus unterschiedlichen Gründen der Meinung, dass ihnen mehr als gleicher Anteil zuste­hen würde. Dazu gehörte Berta als älteste Schwester, die den maroden Hof nach der Übernahme mit voller Kraft und am längsten mit aufgebaut hatte, die meinte, ihr stünde dafür eine Entschädigung zu. Und Papa, dem als zweiten (nach Wilhelm) der Hof angetragen wurde, meinte, da seine Schwester Au­guste, die aus ärztlichen Gründen keine Kinder bekommen würde, den Hof erhalten hat, dass dann spä­ter der Hof wiederum seinen eigenen Kindern übertragen werden müsste. Ob beide ihre Schwester Au­guste damit eigensinnig und letztlich unberechtigt einschränken würden, kam beiden nicht in den Sinn. – Über Spätfolgen des aus seiner Sicht nicht erfüllten Erbanspruches von Papa berichtet Elvira in ihrem Beitrag im Kapitel 16. }

Im Ersten Semester belegte er als Schwerpunkt die Vorbildungsabteilung, um seine Lücken von der einklassigen Dorfschule in der niederen und höheren Mathematik zu schließen. Dies gelang ihm mit gutem Ergebnis schon nach einem Semester. Das Hauptfach seines Studiums war der Maschinenbau. Schnell hatte er sich in die ihn interessierenden Fächer eingearbeitet. Während des Studiums war er gern Kommilitonen behilflich und erklärte ihnen den schwierigen Stoff. Unter seinen Mitstudenten wa­ren auch eine Reihe Ausländer, insbesondere Skandinavier, weil das Technikum Mittweida in Europa einen sehr guten fachlichen Ruf genoss.

Der gute Ruf zeigte sich besonders darin, dass das Technikum Mitweida trotz der beschleunigt zunehmenden Inflation in den Jahren 1922/23 mit 2140 Studenten die höchste Belegungszahl seit der Gründung und bis Ende der 30er Jahre hatte. In dieser Zeit ging es besonders den aus­ländischen Kommilitonen meist deutlich besser, da sie in der Regel von zuhause finanziell unterstützt wurden und dies in harter Währung. Sie konnten den ärmeren deutschen Kommilito­nen gegenüber großzügig sein und sich schwierige Arbeiten, wie die Konstruktion einer Tur­binenschaufel, zeichnerisch anfertigen lassen. Papa z.B. hat sich mindestens zweimal Geld mit der Zeichnung der Turbinenschaufel verdient.

Außerdem verdiente er das eine oder andere Mal auch Geld damit, dass er mit gut bestückten Mitstudenten Karten, u.a. Skat, um Geld spielte. Einmal hatte ein Mitspieler eine Pechsträne und wollte nicht aussteigen. Als letztes Wertvolles zierte ihn noch seine Schlipsnadel. Papa ließ ihn diese ’setzen, mit prompten Verlust der Nadel. – Diese Nadel hatte Papa später zuerst seinem ältesten Manfred und dann mir als Sohn geschenkt. – Trotzdem war, auch wenn seine Schwester Auguste ihn gelegentlich un­terstützte, das Geld immer knapp, vor al­lem wegen der sich bis zum Jahre 1923 beschleunigenden Inflation.

Trotz der geschilderten Schwierigkeiten blieb Papa voll im Plan und erfolgreich. Offensichtlich studierte er sein Wunsch­fach. Deshalb war er sehr diszipliniert und ließ sich während seines Studiums . nichts zu Schulden kommen, wie mir das gut bestückte Hochschularchiv auf An­frage mitteilte. So hat er im Examens-Halbjahr nur an einem einzigen Tag ent­schuldigt gefehlt. Während bei Mitstu­denten einige Fehltage durchaus normal waren. Gelegentlich rührten diese auch beim „üblichen“ Studentenleben in Mittweida von ev. kleineren Ausschweifungen her, wie vom Archiv zu erfahren war.

Papa hingegen studierte mit großer Konsequenz auf das Examen zu. Dies absolvierte er mit deutlichem Erfolg, was sein großes Abschlussdiplom, ein Prädikatsdiplom, auf das er sehr stolz war, eindrucksvoll dokumentiert.