Ein König in seinem Reich Teil II

Ein Bericht von Uta Ribbert

Im Sommerhalbjahr wohnte das Ehepaar Karoline und Johannes Koch in seinem Gartenhaus, um dem geliebten Garten ganz nahe zu sein. Vor allem für die Hausfrau gab es immer Gartenfrüchte, die verarbeitet werden mussten.

Urgroßvater Koch hatte wie viele Menschen seiner Zeit eine ausgesprochene Angst vor Bazillen. Geprägt vermutlich durch die Forschungsergebnisse seines Namensvetters, des berühmten Mediziners und Mikrobiologen Robert Kochs (1843-1910), suchte er sich und seine Familie von krankheitsübertragenden Bakterien, gegen die es damals noch kein Heilmittel gab, fernzuhalten. So wies er seine Ehefrau Karolina an, Brotlaibe nach dem Kauf abzuwaschen (!) und ging nie ohne Handschuhe aus dem Haus.

Vermutlich war es auch diese Angst vor Ansteckung, die ihn dazu bewog, nicht in der Stadt sondern in seinem Garten wohnen zu wollen, wo er die saubere Luft der reinen Natur atmen konnte. Deshalb plante er, sein Gartenhaus am Nordende des Gartens, am Weg nach Klein-Amerika, auszubauen, in ein geräumiges Wohnhaus zu verwandeln. Doch die Coburger Magistratsverwaltung gab den entsprechenden Baugesuchen nicht statt.

Die Enttäuschung war groß, und es blieb dem Ehepaar Koch – die Tochter hatte 1911 den Sohn des Seidmannsdorfer Lehrers August Schamberger geheiratet und war ins Königreich Sachsen ausgewandert – nichts anderes übrig, als wenigstens im Sommerhalbjahr ihre Stadtwohnung mit dem Gartenhaus zu vertauschen. Dort, in dem Häuschen ohne Strom, fließendes Wasser und WC, standen die beiden früh mit dem ersten Sonnenstrahl auf, versorgten Tauben und Hühner, ernteten, jäteten die Gartenwege und Blumenrabatten, hielten den Rasen kurz und düngten die Pflanzen.

Lina Koch, meine Urgroßmutter, betätigte sich als unermüdliche Köchin von Mus, Gelee und Marmelade und als eifrige Einweckerin von Obst und Gemüse. Ihr Mann ging – natürlich zu Fuß – täglich außer sonntags in die Schule. Seine Unterrichtsvorbereitungen erledigte er nach der Gartenarbeit, gegen Mitternacht, im Schein der Ölleuchte.

Der Herbst, die Erntezeit, stellte immer besondere Anforderungen an den Gärtner Johannes Koch. Es standen dann in seinem Gartenbauverein, wo er übrigens das Amt des 2. Schriftführers versah, Ausstellungen an, wo die Vereinsmitglieder ihre besten Gartenfrüchte präsentierten. Koch legte seinen Ehrgeiz darein, möglichst wohlschmeckendes und makelloses Obst vorzuweisen. Mangels geeigneter Gartenhelfer hielt er seine Schüler an, auf die Bäume in seinem Garten zu klettern und Obst abzuleeren, woran diese sich noch Jahrzehnte später schmunzelnd erinnerten. Der Mühe Lohn war die Auszeichnung mit eigentlich recht schmucklosen Vereinsmedaillen, die das Paar aber so sorgsam hütete wie den bescheidenen Familienschmuck.

Die riesigen Obstmengen, die jedes im Garten am Eckardtsberg anfielen, konnten kaum bewältigt werden. So viel wie möglich wurde verkauft, auch auf dem Markt. Zentnerweise gelangten Äpfel und Birnen in den Haushalt von Margarete und Albert Schamberger im fernen Sachsen, die ihrerseits den Segen weiterverschenkten mit dem schon fast entschuldigenden Zusatz „Aus unserem Coburger Garten …“

Während des Ersten Weltkriegs war Johannes Koch doppelt gefragt: als Lehrer und als Gärtner. Die Schulen mussten viele Lehrer entbehren: Jeder zweite war, teils einberufen, teils als Freiwilliger, zu den Fahnen geeilt, so dass die Zurückgebliebenen doppelt und dreifach Unterricht geben mussten. Was den Gärtner anging, so lieferten die Coburger Gartenbesitzer in jenen Kriegsjahren für die Zivilbevölkerung und die Soldaten Zehntausende von Zentnern an Frisch- und Dörrobst bei den staatlichen Sammelstellen ab.

Der eifrige Gärtner und beliebte Lehrer Johannes Koch wurde nur 71 Jahre alt. Als er, der Vögel als die Vernichter von Ungeziefer sehr schätzte, Katzen dagegen von Herzen hasste, an einem Maitag im Jahr 1929 in Verfolgung einer Katze in seinem Garten zum Luftgewehr greifen wollte, erlitt er einen Schlaganfall. An den Folgen dieses Schlaganfalls ist er 1930 gestorben. Seine Witwe sorgte dafür, dass die Urne mit seiner Asche unter seinem Lieblingsbaum, einer selbstgepflanzten Kastanie, beigesetzt wurde. So hatte sie wenigstens den Trost, dass sie, immer wenn sie am Eckardtsberg weilte, ihn in ihrer Nähe, im Schoße seines geliebten Gartens, zu wissen.