Die Spalatin-Chronik (Teil I)

Spalatin-Chronik, Landesbibliothel Coburg, LBC MsCas 11 282

Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, genannt der Weise (1463-1525), aus dem Hause Wettin beauftragte 1510 oder etwas früher seinen Berater, Sekretär, Archivar, Bibliothekar und Historiografen mit einer breit angelegten Stammes- und Landeschronik.

Dieser war kein geringerer als Georg Burckhardt (1484-1545), der sich in humanistischer Manier nach seinem Geburtsort Spalt bei Nürnberg Spalatin nannte und als Weggefährte Martin Luthers weithin bekannt wurde. Nach einem Studium in Erfurt und Wittenberg gelangte Spalatin an den humanistisch gesinnten kursächsischen Hof. Dort wirkte er dank seiner Vertrauensstellung nicht zuletzt als Vermittler des reformatorischen Gedankengutes an Friedrich den Weisen, den baldigen Verteidiger und Beschützer Luthers.

Im 16. Jahrhundert zog es begabte Franken offensichtlich nach Sachsen und Thüringen. Kongenial wirkte an der Spalatin-Chronik der aus Kronach stammende und sich nach seinem Geburtsort nennende kursächsische Hofmaler Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) mit. Aus seiner Werkstatt stammen die weit über 1000 Illustrationen. Unter Oberaufsicht des Meisters wurden die aquarellierten Federzeichnungen von mehreren in seiner Werkstatt tätigen Künstlern ausgeführt. Ziel war die Einheit von Bild und Text, was sich in der an humanistischen Vorstellungen orientierten Seitengestaltung, der regelmäßigen Abfolge von Überschrift, Bild und Text, gut erkennen lässt.

Geschichtliche Dinge wurden in Mittelalter und früher Neuzeit gerne erzählend, ja fast im Plauderton vermittelt. Historische Begebenheiten wechseln sich ab mit Histörchen, die Taten der Herrscher in manchen Fällen sogar mit vermeintlichen Wunderzeichen wie Kometen, Naturkatastrophen und Mehrlingsgeburten. Frühneuzeitliche ebenso wie mittelalterliche Chroniken zählen daher zu den literarischen Gattungen und lassen sich einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung unterziehen. Geschichtsschreibung nach heutigem Verständnis war der damaligen Zeit fremd. Das soll nicht heißen, dass Historiker unter Anwendung entsprechender quellenkritischer Methoden nicht zahlreiche Informationen aus solchen Werken ziehen können. Spalatin bemüht sich durchaus um die historischen Fakten, betreibt sogar Quellenstudien, übersetzt überlieferte lateinische Urkunden, Inschriften etc. innerhalb der Chronik ins Deutsche und lässt sogar erste Ansätze von Quellenkritik erkennen. Doch die Übergänge zwischen tatsächlichen Begebenheiten und tradierten Spekulationen sind auch bei ihm fließend. Es ging ja schließlich weniger um die reinen Fakten als um die Selbstdarstellung des Herrscherhauses und seine dynastische Legitimation. Bei dieser Zielsetzung bietet sich eine narrative Darstellung an.

Die glorifizierende, oft sogar mythische Herleitung von Stämmen und Adelsgeschlechtern, die Herausstellung ihrer Taten und Leistungen war in verschiedenen Chroniktypen des Mittelalters und der frühen Neuzeit zu finden, in Weltchroniken ebenso wie in Kloster-, Bistums- und Territorialgeschichten. Angefangen mit der 1518 abgeschlossenen, vom kaiserlichen Hofhistoriografen Jakob Mennel verfassten „Fürstlichen Chronik genannt Kaiser Maximilians Geburtsspiegel“ wurden selbstständige Adels- oder Stammeschroniken im 16. Jahrhundert zu einer regelrechten Modeerscheinung. Ein so reiches und einflussreiches Geschlecht wie die Wettiner durfte da nicht fehlen.