Die Bundesliga im Thüringer Viertel

Eine Erinnerung von Michael May

Ich bin 1959 in der Weimarer Straße im Thüringer Viertel geboren. 1963 startete die Bundesliga und natürlich waren wir Jungs damals alle leidenschaftliche Straßen-Fußballer. Leider gab es einige doofe Nachbarn, die unser Gekicke nicht so schön fanden und uns regelmäßig verjagten. Aber wir kamen unverdrossen jeden Tag wieder. Seltsamerweise benutzen wir nur selten den Bolzplatz an der Gothaer Straße, wohl weil er uns viel zu groß war und so viel zu wenig Tore fielen.
Jedes Jahr gab es zur neuen Bundesliga-Saison Sammelbilder mit den aktuellen Spielern und dazu ein Album, wo man diese einkleben konnte. Die Sammelbilder waren zu je 3 Stück in Tütchen verpackt und beim Kaufmann nahe der Hochschule käuflich zu erwerben. Die ersten ca. 100-150 Bilder hatte man schnell zusammen, aber dann häuften sich immer mehr die Dubletten und auch mit dem Tauschen mit den Freunden kam man nicht mehr so recht voran. Nun war ja unser Taschengeld noch recht knapp bemessen und so hatten wir schon ein echtes Problem…

Und da kam uns die Verkäuferin in unserem Lebensmittelladen netterweise mit einer rettenden Idee zu Hilfe. Wir hatten nämlich bemerkt, dass in jeder Tüte immer die gleiche Kombination an Bildern steckte. War also z.B. Bild Nummer 43 drin, dann musste auch Nr. 72 und Nr. 120 drin sein. Bevor Sie uns nun wieder neue Tüten verkaufte, hielt sie diese gegen das Licht über Ihrer Kasse und konnte somit eine der Nummern lesen. Somit bewahrte Sie uns vor weiteren Fehlkäufen und wir haben nur noch Tüten mit Bildern gekauft, die uns fehlten. Trotzdem wurde das Album bis Saisonende nie so ganz voll, aber beim Bergmann-Verlag konnte man dann die restlichen fehlenden Bilder noch gegen Geld bestellen. Die vollen Sammelalben aus dieser Zeit sind heute übrigens sehr gesuchte Sammler-Objekte.

Jedenfalls sei dieses Fräulein Willmann – so hieß die Kassiererin damals – noch heute gelobt, gepriesen und gepfiffen, denn Sie hat uns so manche Mark unseres kostbaren Taschengeldes gerettet. Die wir aber dann wohl wieder für Süßigkeiten im gleichen Geschäft ausgegeben haben. Der Laden – wie wir ihn einfach nannten – existierte noch bis in die 80er-Jahre. Seither gibt es im Thüringer Viertel keine Einkaufsmöglichkeit mehr.

Wir Jungs lebten in dieser Zeit von Bundesliga-Samstag zu Bundesliga-Samstag. Mein Lieblings-Verein waren die Münchner Löwen und mein Lieblingsspieler natürlich Torwart Petar Radenkovic – der Radi. Er war ein Idol, den die Fans vom Platz getragen haben – Idole gibt es heute nicht mehr!

Damals wohnte im Thüringer Viertel – und zwar in unmittelbarer Nähe des besagten Ladens – ja auch ein gewisser Herr Reitgaßl. Er war Omnibusfahrer bei der SÜC und wir sind oft mit ihm im Stadtbus mitgefahren. Er hatte einen Bruder namens Willy und der spielte einst beim VfB Coburg, wechselte dann zum Karlsruher SC und kickte zu Bundesligazeiten dann noch viele Jahre auf dem sagenumwobenen Betzenberg in Kaiserslautern – Seite an Seite mit Otto Rehhagel! So war die Bundesliga bei uns im Viertel also wirklich gut vertreten.

Ich habe ein Original-Autogramm von Willy Reitgaßl noch heute in meiner Sammlung. Wie auch von vielen anderen Spielern von damals, von denen man ja einige später noch als Bayernliga-Trainer auf den heimischen Fußball-Plätzen in Coburg oder Frohnlach bestaunen durfte (Franz Brungs, Fritz Popp, Luggi Müller, Peter Grosser usw.). Die 60er-Jahre bleiben halt meine intensivste Fußball-Zeit. Als meine 60er im jahr 1970 aus der Bundesliga absteigen mußten, war alles nur noch halb so schön…