Als der Redakteur noch einen Leimtopf brauchte…

von Friedrich Rauer

Die Berufe der sogenannten Schwarzen Kunst – Schriftsetzer, Metteure und Korrektoren – gibt  es nicht mehr. Viele früher notwendige Arbeitsschritte sind in den 1980er Jahren in Zuge der fortschreitenden Digitalisierung überflüssig geworden. Überschriften werden nicht mehr per Hand zusammengefügt, die Texte der Autoren nicht mehr an großen Setzmaschinen erfasst und Zeile für Zeile in Blei gegossen. Die Metallplatte, auf der einst der Metteur die Seite gebaut hat, ist heute der Monitor, Setzkasten und Winkelhaken des Schriftsetzers wurden ersetzt durch Tastatur und Computermaus, Filme und Fotolabor haben ausgedient. Solides Handwerk und aufwendige Technik sind abgelöst durch ein paar Mausklicks, die der Redakteur nun nebenher erledigt.
Als ich 1971 als Redakteur nach Coburg kam, hatten die für die Stadt Coburg zuständige Lokalredaktion und die Geschäftsstelle der Neuen Presse ihr Domizil im Eckhaus Mohrenstraße/Badergasse. Die anderen Redaktionen, die Verlagsleitung und die Verwaltung, die Technik und die Druckerei waren in der Friedrich-Rückert-Straße in Neuses untergebracht. Chef der zweiköpfigen Lokalredaktion Coburg war damals Erich Vieth. Als er wenige Jahre später krankheitsbedingt in Ruhestand ging, wurde ich sein Nachfolger und die Redaktion im Laufe der folgenden Jahre personell deutlich aufgestockt. Neben den festangestellten Redakteuren und zwei Fotografen gab es eine Reihe freier Mitarbeiter, durch die insbesondere die üppige Vereinsberichterstattung abgedeckt wurde.

Morgens wurde erstmal die Zeitung gelesen

Wenn die Redakteure und Redakteurinnen morgens die Zeitungen durchgeblättert und den ersten Kaffee getrunken haben, stellt sich die Frage: Was liegt an? Welche Termine sind wahrzunehmen? Welche Themen können wir aufgreifen? Wer erledigt was? Daran hat sich wenig geändert. Auch die Zeitungen blättert man zu Arbeitsbeginn immer noch durch. Aber wenn man sich heute am Arbeitsplatz niederlässt, ist das erste, was man tut: Man schaltet den Computer ein. Anfang der 1970er Jahre gab es keinen Computer. Ein Smartphone schon gar nicht, auch keine Digitalkamera, noch nicht einmal ein Faxgerät. Auch ein Diktiergerät war nicht in Gebrauch, eilig hin gekritzelte Notizen auf dem Stenogrammblock mussten genügen. Es gab ein schwarzes schweres Telefon mit Wählscheibe. Und natürlich hatte jeder Redakteur eine mechanische Schreibmaschine vor sich stehen, robuste Fabrikate, die jahrzehntelang zuverlässig ihren Dienst taten und auch einen harten Anschlag nicht übelnahmen, bei dem Löcher ins Papier gestanzt wurden und das Farbband nach wenigen Wochen zerfetzt war.
Anregungen erhielt man in Stadtratssitzungen, auf Parteiversammlungen, bei Vereinsveranstaltungen. Gewöhnlich gut informierte Persönlichkeiten schauten gern mal in der Redaktion vorbei oder man traf sie beim Dämmerschoppen im „Münchner Hofbräu“ oder im „Goldenen Kreuz“. Auch beim Bummel über den Marktplatz konnte man manchmal etwas Interessantes erfahren. Und ein Spaziergang ins Rathaus stand ohnehin jeden Nachmittag an. Dort erhielt man in der Pressestelle bei Herrn Fugmann Mitteilungen der Stadtverwaltung. In der Regel waren das so aufregende Informationen wie die über die monatlichen Zu- und Wegzüge aus der Stadt, über die Zahl der Sterbefälle und der Geburten, die Termine für die Sperrmüllabfuhr, Hinweise über die Regelungen an gesetzlichen Feiertagen oder jeweils Ende Mai die Aufforderung an Grundstücksbesitzer, doch bitte die „lebenden Einfriedungen“ zurückzuschneiden.

Pressearbeit war auch viel Handarbeit

Viel Arbeit nahm das Redigieren eingehender Manuskripte in Anspruch: Artikel freier Mitarbeiter, Presseverlautbarungen, Polizei- und Vereinsberichte, Leserbriefe. Letztere waren nicht selten handgeschrieben, manchmal noch in nur mühsam zu entziffernder Süterlin-Schrift. All diese Beiträge mussten gekürzt, um- oder abgeschrieben, korrigiert und mit Anweisungen für den Setzer versehen werden. Bei umfänglichen Beiträgen empfahl es sich bisweilen,  ganze Passagen mittels Schere zu entfernen und das Manuskript wieder zusammenzukleben, weshalb zur Ausstattung jedes Redakteurs auch ein Leimtopf gehörte. Da man die redigierten Artikel weder mailen noch faxen konnte, kam zweimal am Tag ein Kurierfahrer, um Anzeigen aus der Geschäftsstelle und Manuskripte und Fotos aus der Lokalredaktion abzuholen und zur weiteren Bearbeitung in die Technik nach Neuses zu bringen. Auch die Fotografen hatten ihr Labor in Neuses, wo sie ihre Filme entwickelten. Die fertigen Fotos brachten sie dann zur Auswahl in die jeweilige Redaktion.
Heute ist es ein Kinderspiel, eine Zeitungsseite am Bildschirm zu gestalten, da die Artikel und Fotos passgenau zugeliefert werden und digital verfügbar sind. Bei Manuskripten, die mit Schreibmaschine oder gar von Hand geschrieben sind, kann man zwar die Zeilen zählen, aber auf diese Weise doch nur annähernd die exakte Größe des schließlich in Bleisatz erstellten Beitrags ermitteln. Der Metteur, der die Artikel, Fotos und Anzeigen in den späten Abendstunden anhand einer Layout-Skizze der Redaktion zu fertigen Seiten zusammenbaute, stand deshalb nicht selten vor dem Problem, dass die Beiträge zu lang oder zu kurz waren. Der jeweils diensthabende Schlussredakteur musste deshalb oft noch Kürzungen an den Texten vornehmen, Bilder beschneiden lassen oder aus dem „Stehsatz“-Vorrat passende Kurzmeldungen heraussuchen, um Lücken zu füllen. Da Zeitungslayout in den 70er Jahren noch nicht der große Brüller war, wurden bevorzugt die Fotos beschnippelt. Das war am einfachsten, und  der Spätdienst-Redakteur konnte sich zudem den Ärger mit eitlen Kollegen ersparen, die über unsensible Kürzungen an ihren genialen Texten gar nicht lachen konnten.

Die Schreibmaschine kennt heute schon fast niemand mehr

Heute gibt es neben der gedruckten Zeitung auch eine Online-Ausgabe, die permanent aktualisiert wird und in der sich der Leser stets auf dem Laufenden halten kann. Aktualität stand für die Zeitungen aber auch früher schon hoch im Kurs. Über wichtige Ereignisse und Veranstaltungen, die am Abend stattfanden, sollte nach Möglichkeit noch in nächsten Ausgabe berichtet werden. Artikel wurden deshalb noch kurz vor Druckbeginn in die Schreibmaschine gehämmert und vom Redakteur oft in buchstäblich letzter Minute in die Technik gebracht.  Und bei Großereignissen oder Wahlen wurden auch schon mal Extrablätter gedruckt, die dann am frühen Morgen kostenlos verteilt wurden.
Ach ja, Redaktionen heute sind nikotin- und wohl meist auch alkoholfreie Zonen. Das war früher anders. Viele Redakteure hätten es sich damals schlicht nicht vorstellen können, ohne die im Mundwinkel klebende Zigarette auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Und auch eine kleine alkoholische Aufmunterung der Kreativität wurde von manchen nicht verschmäht. Bei Erich Vieth stand im Schreibtisch stets eine Flasche Whisky. Während der Woche rührte er die nicht an. Aber jeweils am Freitagnachmittag schenkte sich Vieth ein Glas voll ein, dann fing er an, hochkonzentriert und für niemanden mehr ansprechbar, seine beliebte Lokalkolumne „Das war’s diese Woche“ zu schreiben, die jeden Samstag erschien.