30. November 1919: Die Volksbefragung über den Anschluss an Thüringen Teil II

In den Wahlkampf selber trat die thüringische Seite erst sehr spät ein. Man war sich trotz der anderslautenden Vorzeichen sicher, dass die Coburger sich für einen Anschluss an Thüringen entscheiden würden. Als Argument für einen Anschluss an Thüringen diente den thüringischen Propagandisten die sehr lange währende Kultur- und Schicksalsgemeinschaft mit den thüringischen Staaten. Des Weiteren appellierte man an die Coburger, ihr durch und durch protestantisches Land nicht an das katholische Bayern auszuliefern. Auch versuchte man die Coburger mit der Zusicherung von niedrigeren Steuern sowie mit besseren Leistungen für erkrankte Arbeitnehmer durch die Landesversicherungsanstalt und die Berufsgenossenschaften zu ködern.[1]

Aufseiten der bayerischen Propagandisten trat die bayerische Regierung nie offiziell auf. Dies hatte sie auch gar nicht nötig. Zum einen hatte sie mit den Abgeordneten Klingler, Dr. Schack und Arnold prominente Fürsprecher und auch die auflagenstärkste coburgische Zeitung, das „Coburger Tageblatt“, stand auf ihrer Seite. Zum anderen sprachen auch die besseren Argumente für Bayern – die fränkische Stammeszugehörigkeit der coburgischen Bevölkerung und vor allem die engen wirtschaftlichen Bindungen an Bayern sowie die bessere Lebensmittelversorgung in Bayern, von der Coburg auch profitieren würde. Diese „Magenfrage“ ist zwar schwer zu fassen, darf aber keinesfalls unterschätzt werden.[2] Denn, dass auch Bayern unter den Folgen einer Missernte litt, davon wurde kaum Notiz genommen.

Am 30. Oktober 1919 um 9 Uhr war es dann so weit; die Wahllokale öffneten ihre Türen. Die Bevölkerung des Freistaats hatte an diesem Tag zu entscheiden, ob sie einen Anschluss an Thüringen bzw. den Gemeinschaftsvertrag der thüringischen Staaten befürwortete oder ablehnte, wobei eine Ablehnung ein letztlich positives Votum für einen Anschluss an Bayern darstellte.[3]

Als um 17 Uhr die Wahllokale schlossen, hatten rund 75% der Coburger ihre Stimme abgegeben. Sie votierten mit 26.102 zu 3.466 Stimmen gegen den Beitritt zum Gemeinschaftsvertrag der thüringischen Staaten. Das hieß nichts anderes, als das sich 88,11% der Coburger gegen Thüringen und für Bayern ausgesprochen hatten.[4] Für eine genaue Verteilung der Stimmen siehe die folgende Tabelle[5]:

Abgegebene Stimmzettel 29.624
Ungültig 56 0,19%
Ja (für Beitritt) 3.466 11,70%
Nein (gegen Beitritt) 26.102 88,11%

Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte hatte sich ein Territorium freiwillig aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes für die Vereinigung mit einem anderen Staatswesen entschieden. Demzufolge brach Coburg seine offiziellen Kontakte nach Thüringen ab und trat mit Bayern in weitere Verhandlungen ein, die auf der Grundlage der in Bamberg getroffenen Vereinbarungen („Bamberger Stipulationen“) zu einem Staatsvertrag über die Vereinigung Coburgs mit Bayern führten.[6]


[1] Ebenda, S. 154-155;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 371f., 385f.

[2] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 154f.; Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 386; Hambrecht, Rainer: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. In: Ein Herzogtum und viele Kronen. Coburg in Bayern und Europa. Aufsätze zur Landesausstellung 1997 des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlung der Veste Coburg in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Familie und der Stadt Coburg. Hrsg. von Michael Henker und Evamaria Brockhoff. Augsburg 1997. S. 186-196. Hier S. 191.

[3] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 169f.;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 371f.

[4] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 170f.; Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 64; Popp, Steffen: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931: Die Etablierung des völkischen Antisemitismus und der Aufstieg der NSDAP. Offenbach am Main o. J. (Online unter: https://www.complifiction.net/wp-content/uploads/2012/03/Coburgs-Weg-ins-Dritte-Reich.pdf Stand: 06. Januar 2010). S. 5;Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. S. 371;Hambrecht: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. S. 191; Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. Coburg 1969. (= Coburger Heimatkunde und Landgeschichte. Reihe II. Heft 22). S. 47.

[5] Tabelle nach: Schneier, Walter: Coburg im Spiegel der Geschichte. Von der Urzeit bis in die Gegenwart. Auf den Spuren von Fürsten, Bürgern und Bauern. Coburg 1986. S. 277.

[6] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 166; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 64.