Ein Leben für die Schule

Mein Leben als Lehrer begann 1945. Von März 1945 bis zum 8. Mai 1945 hatten wir jungen Menschen (Jahrgang 1927) in Holland den „Endsieg“ erringen sollen. Wir aber wollten den verhassten Krieg wenigstens überleben. Endlich durften wir unsere Waffen den Engländern übergeben, endlich durften wir 500 km nach Ostfriesland marschieren, endlich durften wir in einem Güterzug zurück in unsere geliebte Heimat Franken fahren, endlich…Die ganz jungen und die ganz alten Soldaten wurden zuerst entlassen.

Das alles geschah mit 17 Jahren. Zu Hause in Schweinfurt erwartete mich ein öder Trümmerhaufen meines Elternhauses – das Ergebnis eines Bombenvolltreffers am 17. August 1943. Die ganze Stadt war von Tausenden Ruinen gezeichnet. Meine Eltern hatten in einem noch erhaltenen Haus notdürftig Unterschlupf gefunden.

Das war die Stunde Null: Es fehlte an allem: Nahrung, Kleidung, Wohnraum, einer intakten Währung. Wir hatten keinen Beruf, nicht einmal eine abgeschlossene Schulbildung. Eines Tages im Herbst 1945 las ich in der Zeitung, dass die Militärregierung junge Menschen suchte, die sich bereits erklärten, als „Schulhelfer“ in den Volksschuldienst einzusteigen. Das wäre doch eine sinnvolle Aufgabe für mich, dachte ich, und ich bewarb mich. Ich hatte Glück und wurde genommen. Nach vierwöchigem Hospitieren in einer Schulklasse unter der Leitung einer erfahrenen Lehrerin begann ich meine lange Laufbahn als Lehrer.  Schon ab Januar 1946 unterrichtete ich zwei erste Volksschulklassen, 55 Jungen am Vormittag und nachmittags nochmals 55 sechsjährige Knäblein. Abends fanden Fortbildungsveranstaltungen statt, die uns das pädagogische Grundwissen vermittelten.

Meine Arbeit verschaffte mir große Freude und Befriedigung. War das nicht eine große Aufgabe, das Wissen an junge Menschen weitergeben zu dürfen? Allerdings waren die Rahmenbedingungen mehr als düster: Ich verdiente 180 Reichsmark, für die man sich fast nichts kaufen konnte, zu wenig Nahrung, Kleidung, Wohnraum, fast kein Unterrichtsmaterial. Da half nur der Satz: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!

Als Unterrichtsmaterial hatte ich eine Tafel, weiße und farbige Kreide zur Verfügung, aber keine Bücher, denn die wurden wegen ihrer nationalsozialistischen Prägung eingestampft. In der Pause gab es einen Lichtblick: die Schulspeisung, gestiftet von den USA. In einer langen Schlange stellten sich die Schüler auf und jedes Kind bekam einen Schlag Suppe, wenn noch etwas übrig war, bekam auch der Lehrer eine Portion, denn Hunger hatten wir alle.

Von 1956 bis 1957 besuchte ich in München-Pasing einen Fortbildungskurs zur Ausbildung als Mittelschullehrer. Als Schulort wählte ich Coburg. Als ich im Sommer 1957 zum ersten Male in meinen neuen Schulort fuhr,, war mein erster Weg zur Veste Coburg. Angesichts der wundervollen Lage der verträumt unter mir liegenden Stadt sagte ich zu meiner Frau: „Hier bleiben wir!“

Der Direktor der Schule am Glockenberg begrüßte mich und sagte: „ Sie sind unser jüngster Kollege. Jetzt zeige ich Ihnen meine neue Schule!“ Ich war begeistert von den hellen Räumen, das künstlerisch gestaltete Treppenhaus und die für damals gut eingerichteten Fachräume. 14 Jahre unterrichtete ich an dieser neuesten Schule, die Coburg besaß. Viele schöne Stunden erinnern mich an diese Zeit. 1971 bewarb ich mich für eine Stelle an der neu gegründeten Fachoberschule Coburg. Bis 1995 erteilte ich dort Unterricht in Deutsch und Englisch. Es war ein gerüttelt Maß an Arbeit, aber auch viele unvergessliche Erlebnisse mit Schülern und Kollegen. Das Unterrichten hat mir in alle den Jahren so viel Freude verschafft, dass ich nach meinem Schlaganfall 1997 wieder begann, Senioren in Englisch zu unterrichten und in einem Kindergarten die Kinder in die herrliche Welt der Musik einzuführen. Das tue ich heute noch.

Und wenn das Leben schön gewesen, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen.

Coburg 25. Mai 2013, Gerhard Bellosa