Auf vielen Umwegen nach Coburg – Teil VI

Im Sommer zogen wir dann um nach Oberstdorf. Der Grund für diesen Umzug blieb mir bis heute verborgen, denn auch dort stand uns nur ein Zimmer für Wohnen, Essen, Schlafen und Kochen zur Verfügung. Allerdings waren die Hauseigentümer sehr nette, freundliche Leute, die uns völlig unvoreingenommen gegenüber traten. Wir wohnten dort am Fuße des Nebelhornes, ungefähr 300 m unterhalb der Schattenbergschanze, heute heißt die Anlage „Erdinger-Arena“. Und hier begann eigentlich meine Jugend.

Ich ging in die Volksschule, die etwa 2 km entfernt war, aber der Weg hin und zurück verging wie im Fluge, da zwei Klassenkameraden gleich nebenan wohnten. Meinen Vater bekam ich immer nur am Wochenende zu Gesicht, von Samstagnachmittag bis Sonntagabend, wenn er mit dem ´Zug von Sonthofen nach Hause fahren durfte. 1950 zogen wir dann endlich in eine Mietwohnung in der Trettachsiedlung um. In diesem Herbst wechselte ich auch von der Volksschule auf das Realgymnasium. Hier lernte ich dann auch meinen Freund „Seppi“ kennen, mit dem mich bis zu unserem Wegzug aus Oberstdorf eine innige Freundschaft verband. Sein Vater war damals der einzige Steinmetzmeister im Dorf und sein Geschäft lag unmittelbar neben dem Friedhof, an dem ich vorbei musste, wenn ich zur Schule ging. So manchen Eintrag ins Klassenbuch und so manchen Verweis hatte er mir zu verdanken, weil er einfach jeden Schabernack mitmachte, den ich mir ausgedacht hatte.

So hatte der Hausmeister des Gymnasiums im Krieg ein Bein verloren und konnte nur mit zwei Krücken einigermaßen laufen. Seine Wohnung lag im Kellergeschoss der Schule. Neben dem Gymnasium weideten auf einer Wiese immer mehrere Kühe. Nun hatte ich die Idee, eine dieser Kühe mal in die Schule zu führen, natürlich vor Unterrichtsbeginn. Wir waren also rechtzeitig da und führten eine Kuh in das untere Stockwerk. Seppo musste dabei die Glocke, die in Oberstdorf alle Kühe um den Hals trugen, festhalten, damit sie nicht bimmelte. Als wir die Kuh dann durch die Tür und die zwei Stufen ins Erdgeschoss bugsiert hatten, ließen wir sie los, schlossen die Eingangstür und versteckten uns im gegenüberliegenden Park. Der Hausmeister, alarmiert durch das Gebimmel, war natürlich nicht in der Lage, die Kuh wieder hinaus zu führen und so stand sie also im Flur, ihre Glocke hallte fürchterlich in dem engen Flur, bis die ersten Schüler und auch die ersten Lehrer zum Unterricht erschienen. Irgendjemand schaffte die Kuh wieder zurück auf die Wiese. Wir gingen dann auch völlig unbeteiligt zum Unterricht. Und dann war der Teufel los. Der Direktor, Herr Besler, rauschte mit dem gesamten Kollegium von Klasse zu Klasse, um herauszubekommen, wer der oder die Übeltäter waren. Aber Seppi hielt dicht und so blieb das Ganze ohne Folgen und bis heute unser Geheimnis. Eine andere Geschichte hatte aber Folgen. Unser Musiklehrer, Herr Gogel, traktierte uns permanent damit, dass wir sämtliche Tonleitern in Dur und Moll auswendig lernen und von vorn nach hinten und umgekehrt aufsagen mussten. Das war absolut ätzend! Ein anderes Hobby von ihm waren Balladen. Und so übte er mit uns die Ballade „Die verlassene Mühle“ nach einem Gedicht von J. N. Vogl ein. In einem Satz darin heißt es: „Getrümmer rings und Wucherkraut“. Und als wir diese Passage zum x-ten Male singen mussten, sang ich „Getrümmer rings und Sauerkraut“. Mein Seppi, der neben mir saß, brach daraufhin in schallendes Gelächter aus, ebenso andere Schüler, die in der Bank von uns saßen. Das brachte uns einen Verweis und mir zwei Stunden Arrest ein; und ich musste den „Blauen Brief“ von der Schule abfangen, um die Unterschrift meiner Mutter darauf zu setzen. Seppi bekam von seinem Vater eine fürchterliche Tracht Prügel und er schwor, nie mehr irgendwelchen Blödsinn zu machen, was ihm dank meiner Mithilfe allerdings nicht gelang.