Weihnachten 1945

Hans hatte aus einer Schonung eine kleine Fichte geholt, sie im Stübchen in einen alten Eisentopf gestellt, Sand eingefüllt und den dünnen Stamm mit Schnüren an die beiden Topfhenkel gebunden. Etwas geliehenes Lametta vom Bauern verteilte er gleichmäßig dünn über die Zweige. Mit dem Silberpapier von einstiger Wehrmachtsschokolade formte er zusammen mit Jank Sterne.

„Eene Spitze jehört numa dazu. Wia hamm sowieso Stücker zwee.“

Die Bauerntochter Heidi kramte in alten Kartons und stöberte ein angeschlagenes Exemplar auf. Die ausgebrochene Stelle daran drehte Hans zur Wand.

In Rolands blaue Lieblingshose setzte seine Mutter unten Stoffkeile ein. Er hatte gehört, dass es jetzt in Berlin zur Zeit Mode wird, Hosen zu tragen, die unten glockenförmig ausgestellt sind. Frau Snura musste es ihm bei einem Besuch in Drahnsdorf bestätigen. Und außerdem hatte er es schon bei einem jüngeren Hamsterer sehen können, mit dem er regelmäßig Geschäfte machte.

Für Hans konnte sie eine kurze Lederjacke auftreiben. Die hatte sie schon im Herbst am Bahnhof für einen Korb Steinpilze eingetauscht. Der Reißverschluss mit der Metallkugel zum Ziehen würde ihm ganz besonders gefallen, hoffte sie. Wolfgang konnte eine lange Hose mit abknöpfbaren Stoffhosenträgern in H-Form erwarten. Die hatte sie heimlich aus einer kratzigen Wehrmachtsdecke genäht. Für Joachim, der immer so leicht an den Ohren fror, konnte sie eine Pelzmütze der Wehrmacht ergattern. Mit ein paar Abnähern an der Innenseite hatte sie das graugrünliche, mit Kaninchenfell gefütterte Stück an seine Kopfgröße ungefähr angepasst. Alles war wegen der wachen Suchaugen ihres Quartetts in Heidis Schlafzimmer versteckt worden.

„Ihr müsst dieses Weihnachtn zufriedn mit dem Christbaum sein. Wir ham halt nischt und ich will kein Gemecker hörn. Naja, vielleicht ein paar Plätzchen, mal sehn.“

Als alle draußen waren, nahm sie die Zutaten für ein Kriegsrezept, das ihr mal die Else Michalsky verraten hatte. Aus Gries, künstlichem Bittermandelaroma, einem Löffel Schweineschmalz und Süßstofftabletten knetete sie sich einen Teig zusammen. Daraus formte sie Kugeln und bestäubte sie mit Zimtpulver.

Das waren jetzt Marzipankugeln. Damit sie vor neugierigen Blicken und der vorzeitigen Entdeckung geschützt waren, kam diese Delikatesse ganz oben auf den Küchenschrank. Um ganz sicher zu gehen, deckte sie alles noch einmal mit altem Zeitungspapier ab und ging dann zu Heidi, um irgendetwas zu holen.

Joachim kam jetzt wieder herein. Er war vom Schneemannbauen angefröstelt. Mit seinem Stoffball stellte er ungelenke Fangspiele an. Der Ball landete ganz oben auf der eben abgedeckten Überraschung und verschob dabei die Zeitung.
Joachim stieg auf den Küchenstuhl, erschrak vor dem Anblick der versteckten Köstlichkeit und ließ beim Absteigen vor Schreck den Ball oben liegen.

Als seine Mutter hereinkam, machte er seine schon so oft verspottete Achtlippe und hielt sich an der Schürze fest.

„Ich hab sie nich gesehn, ich hab sie wirklich nich gesehn.“

Ihre Stimme und die vertrauten, arbeitsrauen Hände in seinem Gesicht trösteten ihn schnell.