Oktober/November 1923: Der Grenzschutz Nordbayern in Coburg

Gegen Ende des Jahres 1923 wurde der Bezirk Coburg ein Teil des Aufmarschgebietes für den „Grenzschutz Nordbayern“. Dies bedeutete, dass sich in und um die Stadt mehrere hundert bewaffnete Anhänger deutschnationaler und völkischer Verbände sammelten. Ihre Aufgabe war zum einen, die bayerische Grenze vor den „proletarischen Hundertschaften“ der in Thüringen regierenden Sozialisten zu schützen und zum anderen, sofern die Zeit dafür reif sein sollte, nach Berlin zu marschieren, um dort die Regierungsgewalt an sich zu reißen.

Doch wie konnte es zu dieser Situation kommen? Hierzu muss man die Lage in Thüringen und Sachsen genauer betrachten. Dort kam es im Oktober 1923 zu Regierungskoalitionen von SPD und KPD, die mit der Aufstellung „proletarischer Hundertschaften“ begannen. Daraufhin nahmen die Zustände in Thüringen und Sachsen teils anarchische Formen an, da rechtsgerichtete Kräfte und die Anhänger der KPD andauernd in Auseinandersetzungen verstrickt waren. Reichspräsident Friedrich Ebert verhängte deshalb am 26. September 1923 den Ausnahmezustand über das ganze Reich.[1]

Dass man in der „bayerischen Ordnungszelle“ diese Verhältnisse im Nachbarland Thüringen nicht tolerieren wollte, liegt auf der Hand. Zudem hatte man Angst, dass die Agitation der KPD auch auf die nordbayerische Grenzregion übergreifen könnte. In dieser Situation ordnete der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr den Aufbau eines Grenzschutzes in Nordbayern an. Aufgabe dieser aus Mitgliedern rechts gerichteter Verbände, der Landespolizei und Reichswehr sowie etwa 1.000 rechtsradikalen politischen Flüchtlingen aus Thüringen und Sachsen zusammengestellten Einheiten sollte der Schutz Bayerns vor dem „roten Thüringen“ sein.

In den Köpfen Kahrs und seiner politischen Freunde spukte aber noch ein ganz anderer Gedanke. Man spielte mit der Überlegung, einen „Marsch nach Berlin“ durchzuführen, dort die Macht zu übernehmen und die Ordnung im Reich unter völkisch-nationalistischem Vorzeichen wiederherzustellen.[2]

Der Coburger Raum war ein wichtiges Teil für das Betätigungsfeld dieses Grenzschutzes Nordbayern, da diese Region sowohl vor thüringischen Übergriffen zu sichern war, als auch für den Einmarsch nach Thüringen, sowie den möglichen Marsch auf Berlin diente. Aus diesem Grund wurden dort mehrere hundert Männer stationiert. Da jedoch der Befehl zum Einmarsch nach Thüringen oder zum Marsch auf Berlin ausblieb, tyrannisierten die Männer des Grenzschutzes die Coburger Bevölkerung. Die Gewalttaten der Männer richtete sich dabei vor allem gegen die jüdischen Bürger.[3]

Nachdem die Reichswehr zunächst in Sachsen und dann im November 1923 in Thüringen eingerückt war, entspannte sich auch die Lage im Norden Bayerns. Durch das Handeln der Reichsregierung entfielen die Gründe für einen Einmarsch nach Thüringen und einen Marsch auf Berlin.[4] Deshalb löste man den „Grenzschutz Nordbayern“ zum 15. November 1923 auf.[5] In den Coburger Raum kehrte wieder Ruhe und Ordnung ein.


[1] Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. Coburg 1969. (= Coburger Heimatkunde und Landgeschichte. Reihe II. Heft 22). S. 126f.

[2] Ebenda, S. 127, 131f.; Schneier, Walter: Coburg im Spiegel der Geschichte. Von der Urzeit bis in die Gegenwart. Auf den Spuren von Fürsten, Bürgern und Bauern. Coburg 1986. S. 285; Popp, Steffen: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931: Die Etablierung des völkischen Antisemitismus und der Aufstieg der NSDAP. Offenbach am Main o. J. (Online unter: http://www.popp-art.com/files/text/Coburgs­%20Weg%20ins%20Dritte%20Reich.pdf. Stand 06. Januar 2010). S. 10.

[3] Ebenda, S. 10; Hambrecht, Rainer: Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933). Nürnberg 1976. (Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg. Band 17). S. 55;Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 285f.; Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 130-149.

[4] Ebenda, S. 146;Hambrecht, Rainer: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. In: Ein Herzogtum und viele Kronen. Coburg in Bayern und Europa. Aufsätze zur Landesausstellung 1997 des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlung der Veste Coburg in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Familie und der Stadt Coburg. Hrsg. von Michael Henker und Evamaria Brockhoff. Augsburg 1997. S. 186-196. Hier S. 193;Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 286.

[5] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 147;Hambrecht: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. S. 193.