23. Juni 1929: Stadtratswahlen

Nach dem Erfolg des von den Nationalsozialisten initiierten Volksentscheids über die Auflösung des Stadtrats vom 5. Mai 1929 wurde als Termin für die Stadtratsneuwahl der 23. Juni festgesetzt.

Der Mai und der Juni waren von einem aggressiven und pausenlosen Wahlkampf geprägt. Vor allem die Nationalsozialisten versuchten, die Wähler durch eine sozial anmutende Propaganda auf ihre Seite und weg von der SPD zu ziehen. Daneben versuchten die Nationalsozialisten mit Verweisen auf vermeintlich „korrupte Politiker“, „hoch dotierte aber unfähige Sparkassendirektoren“, „jüdische Generaldirektoren und ihre willigen Helfershelfer in Verwaltung und Politik“, ineffektive Verwaltungseinrichtungen, die das Geld der Bürger verschwenden würden, alle möglichen Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren.[1] Den Höhepunkt des Wahlkampfes bildete der 22. Juni, denn an diesem Tag sprach Hitler persönlich im Saal des Hofbräuhauses. In seiner Rede ging Hitler nur auf das weltanschauliche Programm der NSDAP ein; die Coburger Kommunalpolitik fand in seiner Rede dagegen keinen Platz.[2]

Die Wahl am 23. Juni brachte folgendes Ergebnis[3]:

KPD SPD DDP BVP National-liberaler Verband     (=DVP) DNVP NSDAP
Stimmen 148 3.440 420 376 1.057 1.357 5.140
% 1,24 28,82 3,52 3,15 8,85 11,37 43,06
Sitze im Stadtrat 0 7 0 0 2 3 13
Wahlberechtigte Abgegebene Stimmen Gültige Stimmen Wahlbeteiligung in %
16.800 11.997 11.938 71,41

Erklärungen zur Tabelle:

KPD = Kommunistische Partei Deutschlands

SPD = Sozialdemokratische Partei Deutschlands

DDP = Deutsche Demokratische Partei

BVP = Bayerische Volkspartei

DNVP = Deutschnationale Volkspartei

DVP = Deutsche Volkspartei

NSDAP = Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

Die Wahl brachte den Nationalsozialisten die kommunale Mehrheit in Coburg. Zum ersten Mal in Deutschland war die NSDAP stärkste Fraktion in einem Stadtrat geworden. Coburg übernahm hier also eine Vorreiterrolle. Früher als in allen anderen deutschen Städten begann in Coburg das „Dritte Reich“, und dies durch eine urdemokratische Entscheidung, nämlich durch den direkten Willen der Wähler.[4]

Der Wahlerfolg ging größtenteils zulasten der bürgerlichen Vertreter im Stadtparlament. Die DDP und BVP führten in Coburg nur noch ein Schattendasein. Aber auch die SPD musste Verluste einstecken. Konnte sie bei den letzten Stadtratwahlen 1924 noch 3.933 Stimmen für sich verbuchen, waren es jetzt nur noch 3.440. Damit verlor die Partei einen Sitz im Stadtrat.[5]

Die Nationalsozialisten konnten sich aber nicht vollständig über ihren Wahlsieg freuen, denn trotz ihrer Mehrheit im Stadtrat konnten sie dort überstimmt werden. Außer den zwölf Abgeordneten von SPD, DNVP und dem National-liberalen Verband, waren nämlich auch die zwei Bürgermeister Coburgs und in Bau- bzw. Wohlfahrtsfragen auch der Rechtsrat und der Stadtbaurat im Stadtrat stimmberechtigt. Dadurch konnte das eigentlich günstige Verhältnis von 13 zu 12 Sitzen für die NSDAP in ein 13 zu (mindestens) 14 gegen die Nationalsozialisten gewendet werden.[6]

Die Coburger Wähler verhalfen der NSDAP zu ihrer ersten Stadtratsmehrheit in Deutschland. Diese Vorreiterrolle wurden die Coburger nicht mehr los. Aber im Dezember 1929 hatten sie die Chance, ihre Wahlentscheidung für eine radikal nationalistische und antisemitische Partei zu revidieren. In Monat Dezember stand nämlich die turnusgemäße Stadtratswahl an, die trotz der soeben erfolgten Neuwahl durchgeführt werden sollte.[7]


[1] Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 116.

[2] Popp, Steffen: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931: Die Etablierung des völkischen Antisemitismus und der Aufstieg der NSDAP. Offenbach am Main o. J. (Online unter: https://www.complifiction.net/wp-content/uploads/2012/03/Coburgs-Weg-ins-Dritte-Reich.pdf. Stand: 06. Januar 2010). S. 38; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 114ff.

[3] Zahlen nach: Schneier, Walter: Coburg im Spiegel der Geschichte. Von der Urzeit bis in die Gegenwart. Auf den Spuren von Fürsten, Bürgern und Bauern. Coburg 1986. S. 279 und Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 38f. Siehe auch „Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 43.

[4] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 116;Hambrecht, Rainer: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. In: Ein Herzogtum und viele Kronen. Coburg in Bayern und Europa. Aufsätze zur Landesausstellung 1997 des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlung der Veste Coburg in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Familie und der Stadt Coburg. Hrsg. von Michael Henker und Evamaria Brockhoff. Augsburg 1997. S. 186-196. Hier S. 193; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 39, 41;Schneier: Coburg im Spiegel der Geschichte. S. 298.

[5] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 116, 118; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 39.

[6] Ebenda, S. 42;Hambrecht: Zwischen Bayern und Thüringen – Coburg von 1900 bis 1945. S. 193; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 117; Asmalsky, Ludwig: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. Unveröffentlichte Zulassungsarbeit zur Prüfung für das Lehramt an den Gymnasien in Bayern an der Universität Würzburg. Würzburg 1969. S. 57.

[7] Ebenda, S. 54.