1924 – 1929: Die Dreimannfraktion– Das Agieren der Nationalsozialisten im Stadtrat

Seit den Stadtratswahlen vom 7. Dezember 1924 saßen für den Völkischen Block vier Stadträte im Stadtparlament. Diese waren Franz Schwede, Ernst Bernhardt, Georg Linke und Gustav Neutsch. Die ersten drei waren Mitglieder der NSDAP gewesen. Da diese aber seit 1923 verboten war, hatten sie sich dessen Nachfolgeorganisation, dem Völkischen Block, angeschlossen. Nach der Wiederzulassung der NSDAP am 27. Februar 1925 wechselten die drei Herren zu ihrer alten Partei zurück und bildeten so die „Dreimannfraktion“ der Nationalsozialisten im Coburger Stadtrat.[1]

Im Stadtrat selbst versuchten die Nationalsozialisten mit allen sich ihnen bietenden Mitteln Aufmerksamkeit zu erregen. So stellten sie massenhaft Agitationsanträge, die sie betont sozial erscheinen lassen sollten – man wollte der SPD so Wähler abspenstig machen –, brachten Misstrauensanträge gegen den Ersten Bürgermeister ein, hielten sinnlose Reden zur Geschäftsordnung oder beleidigten die sozialdemokratischen Stadtratsmitglieder. Die Nationalsozialisten behinderten so den Sitzungsbetrieb, am Lauf der Dinge konnten sie aber nichts ändern.[2] Daneben versuchten sie durch künstlich provozierte bzw. aufgebauschte Skandale das demokratische System zu diskreditieren.

Einer der ersten dieser „künstlichen“ Skandale entspann sich nach der Wahl des Predigers der jüdischen Kultusgemeinde Hermann Hirsch in den Jugendamtsausschuss im Jahre 1926. Für die Nationalsozialisten stellte die Wahl eines Juden eine „Beleidigung aller Deutschen“ dar. Auch sah sie die Gefahr, dass die „deutsche Jugend“ dadurch „irregeleitet“ werden könnte. Der daraufhin von der NSDAP im Stadtrat eingebrachte Antrag, Hirsch wieder aus dem Ausschuss zurückzuziehen, wurde von der Mehrheit des Stadtrates jedoch abgelehnt. Für den Vorsitzenden der NSDAP Coburg, Franz Schwede, bewies dies die „Judenknechtschaftsseligkeit“ der Coburger Räte.[3]

Ein weiterer Skandal entspann sich an einem Wertpapierdiebstahl bei der städtischen Sparkasse durch einen Angestellten des Instituts. Dessen Vater beglich zwar den entstandenen Schaden und auch die Staatsanwaltschaft wurde informiert, doch für die Nationalsozialisten um Schwede war dies Grund genug, eine Bürgerversammlung einzuberufen. Auf dieser holte Schwede zu einer Generalabrechnung mit den Verhältnissen in Coburg aus. In Bezug auf den Diebstahlsfall warf Schwede dem Coburger Ersten Bürgermeister Erich Unverfähr Untätigkeit bei der Aufklärung vor.[4] Danach nahm er sich die Haushaltspolitik vor. Dabei behauptete er, dass die städtischen Finanzen nur auf Krediten basieren würden und dies hochgradig riskant und der falsche Weg sei. Seine Partei hingegen würde versuchen, Rücklagen zu bilden und das Geld anstatt für die Begleichchung der Zinsen direkt für städtische Aufgaben auszugeben.[5] Danach schoss sich Schwede auf den Sparkassendirektor Konrad Soergel und dessen Tantiemen ein. Diese Streitfrage sollte zu einem Paradebeispiel für die NS-Agitation werden.

Seit 1926 griffen die Nationalsozialisten die hohen Bezüge von Soergel an. Im November 1926 brachten sie im Stadtrat einen Dringlichkeitsantrag ein, der darauf abzielte, den „Coburger Erwerbslosen, Alt- und Kleinrentnern“ zu Weihnachten Unterstützungszahlungen zukommen zu lassen. Zur Finanzierung wurde folgender Vorschlag gemacht: „Die Mittel hierzu werden aus dem Reingewinn der Stadtsparkasse dem Wohlfahrtsamt überwiesen, dafür wird die Tantieme des Sparkassendirektors gestrichen. Soweit dieser Betrag nicht ausreicht, werden alle am 1. Januar 1927 an amtliche und ehrenamtliche Stadträte zur Auszahlung zu gelangenden Entschädigungen und Vergütungen im Sinne unserer schon früher gestellten Anträge für diesen Zweck verwandt.“ Eine Mehrheit fand dieser Antrag nicht, aber man hatte erreicht, dass viele Coburger glaubten, Soergel und die anderen Stadträte würden zu hohe finanzielle Zuwendungen bekommen und so dem Gemeinwohl im Wege stehen.[6] Dabei nutzten die Nationalsozialisten geschickt die Tatsache, dass die Soergelschen Tantiemen in Coburg schon länger ein Streitpunkt waren. Während Soergel 10% des Gewinns der Sparkasse als Bonus erhielt, warteten viele Coburger immer noch auf die Aufwertung ihrer durch die Inflation entwerteten Sparguthaben.[7]

Darüber hinaus warfen die Nationalsozialisten ihrem politischen Gegner im Juni 1927 vor, von der Sparkasse wirtschaftlich abhängig, deren Schuldner und somit parteiisch eingestellt zu sein. Die Stadträte wiesen diese Anschuldigungen als pure Verleumdungsmaßnahme zurück und dementierten öffentlich. Ein negativer Eindruck blieb jedoch in der Coburger Bevölkerung zurück.[8]

Mit ihrer Agitation gegen die Sparkasse diskreditierten die Nationalsozialisten deren Direktor und die anderen Stadtratsmitglieder, auch wenn die meisten Anschuldigungen aus der Luft gegriffen waren. Aber für die Nationalsozialisten zählte nur, Aufmerksamkeit zu erregen und im Gespräch zu bleiben.[9]


[1] „Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 27; Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 95.

[2] „Voraus zur Unzeit“. S. 13; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 95f.

[3] Ebenda, S. 100f.

[4] Ebenda, S. 103.

[5] Ebenda, S. 103.

[6] Finzel, Frank / Reinhart, Michael: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. Hauptwege, Nebenwege, Irrwege. Stuttgart 1996. S. 296f.

[7] Ebenda, S. 296f; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 104.

[8] Finzel / Reinhart: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. S. 300, 305.

[9] Ebenda, S. 305.