Unser Vater kommt aus der Gefangenschaft nach Hause

Ein halbes Jahr nach dem Panzeralarm kam endlich auch unser Vater aus der Gefangenschaft nach Hause, worüber wir, aber vor allen unsere Mutter, sehr glücklich war, wussten wir doch in all der Zeit nicht, ob er überhaupt noch am Leben war. Es war in dieser Zeit sehr schwer, Arbeit zu finden, und so hat unser Vater als Knecht auf dem Ulmanns-Gut angefangen. Der Lohn war zwar sehr gering, aber er bekam als Deputat abends immer einen Liter Milch und Eier oder sonst etwas Essbares. Da in der Landwirtschaft noch fast alles Handarbeit war, wurden sehr viele Leute gebraucht.
Sehr viele Frauen, so auch unsere Mutter, haben oft auf den Feldern mitgeholfen, wenn Leute gebraucht wurden. Das hat uns sehr geholfen, denn die Versorgung mit Lebensmitteln war auch weiterhin sehr schlecht. Wir haben dann einen neuen Schrebergarten in der Spittelleite bekommen. Unser Vater hat einen Anbau an die Gartenhütte gemacht und Hasenställe gebaut. So konnten wir uns auch ein paar Stallhasen anschaffen, um unseren kargen Speisezettel etwas aufzufüllen. Da wir aber keine Wiese hatten, mussten wir jeden Tag Hasenfutter suchen gehen.
Am Wochenende, sind wir mit dem Handwagen, den wir inzwischen hatten, in die Wälder gefahren, um Holz für den Winter zu holen. Wofür man natürlich einen Holzschein vom Förster benötigte. Es durften auch nur Äste gesammelt oder dürre Bäume bis 7 cm. Durchmesser umgemacht werden. Aber wer hat sich schon daran gehalten, man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Schon früh um sieben sind wir, losgezogen und am späten Nachmittag nach Hause gekommen. Da sehr viele Menschen auf der Suche nach Brennholz waren, wurden die Wege immer weiter. Über Beiersdorf, der Wildbahn, bis kurz vor Mährenhausen sind wir zum Schluss gefahren. Unter der Woche wurde es mit der Handsäge zersägt, gehackt und dann eingelagert. Oftmals, haben wir auch Stöcke ausgegraben, das war eine schwere Arbeit.

Es war gut, dass wir das ganze Jahr über vorgesorgt hatten, denn im Dezember 1946 begann der kälteste Winter in Mitteleuropa seit Jahren. An den Fensterscheiben der Schlafzimmer, die natürlich nie beheizt wurden, waren früh dicke Eisschichten. In den Wohnungen war meist nur die Küche warm. Auch in der Schule saßen wir mit Mantel und Handschuhen, denn auch die Schulen hatten Probleme mit Heizmaterial. Vier Monate Hunger und Kälte, machten Deutschland schwer zu schaffen. Es war das schlimmste Weihnachten, das wir erlebt haben, hungernd und frierend. Zum Glück hatten wir noch einen Stallhasen, den wir für Weihnachten aufgehoben hatten. Es war ein Festmahl. Aber auch schlimme Zeiten gehen einmal vorüber, umso größer war die Freude, als der Frühling endlich kam.
Es war das letzte Schuljahr und wir bereiteten uns auf unsere Konfirmation vor. Die Versorgungslage war noch immer nicht befriedigend.

Auch mit unserer Bekleidung stand es nicht zu Besten, sie war inzwischen alt geworden, für neue fehlte oft das Geld. Wenn der Kragen, vom Hemd durch getragenen war, wurde es unten abgeschnitten, um den Kragen oben zu erneuern.
Aus allen möglichen und manchmal auch unmöglichen Stoffen wurde Bekleidung genäht
Aber nicht nur hier waren Geschicklichkeit und die Erfindungsgabe der Mütter und Hausfrauen gefragt. Sie mussten sich auch bemühen, ihrer Familie trotz fehlender Nahrungsmittel ein ausreichendes und möglichst schmackhaftes Essen zuzubereiten. Auf Grund der fettarmen Nahrung war man ständig auf der Suche danach, seinen Fettbedarf zu decken. Aber trotz der Bemühungen sah die Mehrheit der Bürger sehr mager aus. Wer Beziehungen zu Bauern auf dem Lande hatte, der war dadurch ein wenig im Vorteil, denn man konnte vielleicht einmal etwas eintauschen, das mit den Lebensmittelkarten nicht zu erwerben gewesen wäre.

Ostern 1947 war unsere Konfirmation, es war kein großes Fest wie es heute gefeiert wird. Sehr bescheiden, im engsten Familienkreis. Auch die Geschenke, ein oder zwei Taschentücher, ein Handtuch oder ein Paar Socken oder Ärmelhalter, die Mädchen meist eine Sammeltasse – und doch hat man sich über jedes Geschenk gefreut.
Im Herbst 1947 war meine Schulzeit zu Ende und ein neuer Lebensabschnitt begann.