Unser Leben in der Nachkriegszeit

Langsam begann, wenn auch zeitlich beschränkt, wieder ein einigermaßen normales Leben, jedoch mit einer gewissen Unsicherheit. Beim Bäcker gab es wieder Brot, wenn auch begrenzt wegen der Stromsperre, und auch die Geschäfte konnten das, was sie noch auf Vorrat hatten, verkaufen. Leider war das sehr schnell ausverkauft. In dieser Zeit danach lebten wir von dem, was wir auf Vorrat angelegt hatten.
Ich weiß nicht mehr wann, aber so nach etwa 4 Wochen, bekamen wir Lebensmittelmarken. So sollte die Versorgung einigermaßen gesichert werden. Die Zuteilungen waren aber sehr gering und man musste dafür lange an den Geschäften anstehen und wenn man an der Reihe war, war oft nichts mehr da.
Täglich stand nur eine bestimmte Menge an Lebensmitteln zur Verfügung, deren Gesamtnährwert in Kalorien angegeben war. Die Höhe der Rationen legten die Militärregierungen fest. Da ein körperlich Arbeitender einen höheren Nährstoffbedarf hatte als ein Kind, teilten die Besatzungsbehörden die Bevölkerung in verschiedene Kategorien ein (z.B. Schwerarbeiter, Arbeiter, Erwerbslose, Kinder).
Auf der Lebensmittelkarte waren die einzelnen Mengen der Produkte verzeichnet, auf die der Inhaber Anspruch hatte.
So standen einem Arbeiter täglich 65 g Fleisch, 60 g Nährmittel, 15 g Fett, 60 g Kaffee und 20 g Tee zu.
Die Lebensmittelrationen, sanken unter das Existenzminimum. Der Zuteilungsdurchschnitt war während der Endphase des Krieges noch bei 1500 Kalorien, doch er sank pro Tag extrem herunter. Die Menschen nahmen nun nur um die 700 Kalorien zu sich.
Hungernd und frierend waren die Deutschen nun ein Volk der Bettler, Diebe. Man fand sie beim „Hamstern“ auf den Feldern, beim Schachern auf dem Schwarzmarkt, beim Stehlen auf den Kohlezügen oder beim Schmuggel.
Durch die Kriegseinwirkung und die Vernachlässigung der Felder und Äcker im letzten Kriegsjahr, wurde die Versorgung mit Lebensmitteln immer kritischer. Zum Glück wurde die Ausgangszeit verlängert. Es blühte der Schwarzmarkt, aber wir hatten leider keine Wertgegenstände, die wir gegen Lebensmittel hätten eintauschen können.
Zu Fuß ging unsere Mutter übers Land, um bei den Bauern um ein Stückchen Brot, ein paar Kartoffeln oder ein Ei zu betteln. In dieser Zeit ging es um das nackte Überleben. Zukunftsängste machten sich breit. Die Zeit, in der wir keine Schule hatten, nutzten auch wir Kinder, um uns am Überlebenskampf zu beteiligten. Egal was es war, alles wurde gesammelt, Hauptsache, es machte satt. Kartoffelstoppeln, Ähren lesen, Fallobst aufsammeln: dies war unsere tägliche Beschäftigung. Wenn der Hunger sehr groß war, sind wir auch einmal an einen Kartoffelacker gegangen und haben ein paar Kartoffeln mitgehen lassen. Wenn man damals geklaut hat, war man sich keiner Schuld bewusst, weil uns nichts anderes übrig geblieben ist, um zu überleben.
Ich erinnere mich noch, Brennnessel, Sauerampfer und Kartoffelschalen, (die wir von einer Tante, die den Haushalt eines Geschäftsmannes führte, bekamen,) wurden durch den Wolf gedreht und Tätsch daraus gebacken. Wenn kein Fett vorhanden war, hat unsere Mutter Kaffee in die Pfanne getan.

Für eine Kanne Buttermilch sind wir mit dem Zug nach Rodach zur Molkerei gefahren und wenn wir Pech hatten und nicht rechtzeitig wieder zum Bahnhof gekommen sind, mussten wir nach Coburg zurück laufen. Am Tag fuhren nur 3 Züge, in der Früh, am Mittag und am Abend.
Aber auch an den kommenden Winter mussten wir denken, jeder Ast oder jedes Stück Holz wurde nach Hause getragen, selbst lose Zaunlatten ließen wir mitgehen. Das war aber nur der Anfang, diese Zeit sollte noch lange dauern.

Der ganze Verwaltungsapparat war ja nicht mehr da, die Amerikaner mussten erst wieder eine Verwaltung aufbauen und das war gar nicht so leicht. Alle Posten in der Verwaltung waren ja mit Nationalsozialisten besetzt und die mussten erst entnazifiziert werden. Das Gleiche galt auch für die Lehrkräfte in den Schulen, auch die mussten entnazifiziert werden und unbelastete Lehrkräfte mussten gesucht und eingestellt werden.

Am 06.09.1945 begann für die Klassen 1-4 wieder der Schulunterricht. Für die Klassen 5-8 begann der Unterricht vermutlich aus Mangel an Lehrkräften erst am 08.10.1945. Weil unsere Schule noch Lazarett war, wurden wir auf andere Schulen verteilt.
Da viele Lehrer Nazis waren und nicht mehr unterrichten durften, hatten wir am Anfang nur junge Lehramtsanwärter, die vorher noch nie unterrichtet hatten, sie hatten es sehr schwer mit uns! Die Schulbücher waren knapp, man musste sie mit mehreren Schülern gleichzeitig benutzen. Zum Teil waren aber auch einige Bücher verboten, weil noch etwas aus der Nazizeit darin stand. Manchmal wurden aber auch nur einige Seiten entfernt. Dass wir in dieser Zeit nicht viel gelernt haben, kann sich jeder denken.
Wir Kinder waren inzwischen fast alle unterernährt. Mit der „Quäker-Schulspeisung“ versuchten die Alliierten u.a. Hunger und Unterernährung der Kinder zu mildern. (Quäker eine Christliche Gemeinschaft in Amerika). Durch ihre Spenden konnte eine warme Mahlzeit für fast jedes Schulkind gewährleistet werden. Dies konnten Milchspeisen, meist Haferbrei, Erbsensuppe oder regional geprägte Eintöpfe sein. Samstags gab es immer Kakao und ein Brötchen. Wir Kinder brachten Essgeschirr in Form eines Blechgefässes und einen Löffel zur Schule und der Ausgabestelle mit. Es wurde auch darauf geachtet, dass wir das, was wir bekamen auch selbst aßen, wir durften nichts mit nach Hause nehmen. Aber meist war der Hunger ja so groß, dass wir sowieso alles aßen, auch wenn es uns einmal nicht geschmeckt hat.