Die stumme Pracht: Vogelsammlungen – Teil I
Ein Bericht von Uta Ribbert
August Adam Schamberger, Dorfschullehrer und Ornithologe
Ungewöhnlich war die Liebhaberei – heute sagt man: das Hobby – meines Seidmannsdorfer Urgroßvaters, des Lehrers August Adam Schamberger (1854 – 1931), seinerzeit nicht. Studierte Leute wie Lehrer, Ärzte, Apotheker und Pfarrer eigneten sich im 19. und an der Wende zum 20. Jahrhundert nicht selten fundiertes Wissen über die Vogel-, aber auch die Insektenkunde an und dokumentierten das durch umfangreiche Sammlungen. So trugen sie mit ihren Naturbeobachtungen und im Austausch mit hauptberuflich tätigen Wissenschaftlern sehr wesentlich zur Erweiterung naturkundlicher Kenntnisse bei.
Das Interesse an der Vogelkunde muss bei dem in Seidmannsdorf geborenen Schamberger wohl an seiner ersten Lehrerstelle im Coburger Land (1873 – 1888) erwacht sein. Dort, in Sülzfeld und Mährenhausen, einer Gegend, die als die einsamste im Herzogtum galt, verlief eine Vogelzugstraße. Der geübte Jäger griff hier und später in seinem Heimatdorf, wohin er sich 1888 versetzen ließ, ohne große Bedenken zum Gewehr, um Vögel abzuschießen und seiner Sammlung einzuverleiben.
Das für uns heute befremdliche Töten belastete das Gewissen der Ornithologen jener Jahre schon deshalb nicht, weil es aus ihrer Sicht zum Zwecke der Erstellung eines möglichst vollständigen Überblicks über die heimische und die überregionale Tierwelt notwendig war. Nur so konnten die Arten bestimmt werden, denn Ferngläser und Spektive, die heutigen Hilfsmittel der Vogelkundler, gab es damals nicht für jedermann. Die Wildvögel waren zudem in unermesslicher Zahl vorhanden, denn die Landwirtschaft und Industrie hatte ihre Lebensräume noch nicht tiefgreifend beeinträchtigt wie heute.
Nach dem Abschuss ordnete Schamberger sie nach wissenschaftlichen Kriterien ein, stopfte sie aus, wobei er sie so präparierte, dass sie in möglichst natürlicher Haltung, manche gar mit ausgebreiteten Flügeln, der Nachwelt erhalten blieben. War ein seltenes Tier erlegt worden – um so besser. War`s ein häufig vorkommendes Tier, wanderte es trotzdem ins Regal zu der stummen Pracht. So waren manche Vogelarten dutzendfach in Sammlungen vorhanden. Man konnte sie zum Tausch gegen Exemplare verwenden, die in der eigenen Sammlung noch fehlten.
Akribisch führte der Lehrer das Wetterkundebuch der Seidmannsdorfer Schule und notierte seine Beobachtungen über Ankunft und Abflug der Zugvögel sowie über das Vorkommen der Vögel seiner Umgebung.
Aber ihn verband mit seinen Tieren mehr als nur wissenschaftliches Interesse. Er war stolz auf seine Sammlung, ja, wie jeder eifrige Sammler liebte er die gefiederten Exemplare. Hin und wieder holte er, um sich an ihm zu erfreuen, den einen oder anderen Vogel ins Wohnzimmer, das im übrigen stets vom Gesang eines höchst lebendigen Stubenvogels, meistens eines Stieglitzes, erfüllt war. Nur zu besonderen Gelegenheiten trennte er sich von einigen ausgesuchten Exemplaren. So vermachte er seinem Sohn und seiner Schwiegertochter zu ihrer Hochzeit im Jahr 1911 als Geschenk einen Schreiadler und eine Kaptaube.
Der Dorfschullehrer hätte mit seinen Fertigkeiten (Ausstopfen von Vogelbälgern) einen lukrativen Nebenerwerb eröffnen können; denn ausgestopfte Tiere, insbesondere Vögel, waren damals als Schmuckstück für die Gute Stube begehrt. Doch lehnte er das kategorisch ab und verwies Interessenten stets an professionelle Tierpräparatoren in Coburg. Dies nicht gerade zur Freude seiner Ehefrau Amalie geb. Reich, die einen Zusatzverdienst zum bescheidenen Lehrergehaltsehr begrüßt hätte. Als sie nämlich ein künstliches Gebiss benötigte, lehnte das der sparsame Ehemann mit der Begründung ab, es sei zu teuer. Aber für seine Liebhaberei war er durchaus geneigt, Geld auszugeben. So erwarb er u. a. die teuren Bände von „Brehms Tierleben“.
Der Vater jenes Alfred Brehm (1829 – 1884), des Autors des berühmten naturkundlichen Standardwerks, war im Coburger Land kein Unbekannter. Christian Ludwig Brehm, Pfarrer im thüringischen Renthensdorf und ein ausgewiesener Vogelkundler, war 1844 Herzog Ernst II. beim Aufbau des Herzoglichen Naturaliencabinets, dem Vorläufer des heutigen Naturkundemuseums, behilflich und überließ ihm Hunderte von Vögeln und Vogeleiern aus seiner Sammlung.
In die Fußstapfen des berühmten Brehm senior trat ein halbes Jahrhundert später August Schamberger. Auch er leistete einen Beitrag zum Aufbau der Ornithologischen Sammlung des Museums, das zunächst auf der Veste untergebracht war und später, 1914, im Hofgarten ein eigenes Gebäude erhielt.