Im Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Widerstand – Teil II

Ein Beitrag von Rupert Appeltshauser

Wie seinem Vorgänger im Amt Ausland/ Abwehr, Admiral Canaris, gelang es Hansen, die Doppelrolle des loyalen, mit geheimdienstlichen Aufgaben betrauten Offiziers und des Widerstandskämpfers perfekt zu spielen und dabei bis zuletzt unentdeckt zu bleiben. Wie Hansen mit dem Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Begünstigung des Widerstands umzugehen pflegte, zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1943. Nachdem zwei Sprengstoffpakete von einer Streife der Feldpolizei aufgefunden worden waren, gab Hansen, damals noch Chef der 12. Abteilung des Generalstabes, das eine pflichtgemäß an den NS- Sicherheitsdienst weiter, das andere händigte er jedoch insgeheim wieder dem eigentlichen Besitzer aus, dessen Engagement für den Widerstand ihm bekannt war.4

Die Kunst des Agierens auf zwei Ebenen war vor allem dann gefragt, als Hansen im Februar 1944 als Nachfolger von Canaris das Amt Ausland/ Abwehr als Chef übernahm, das aber mit Wirkung vom 1. Juni aus der Wehrmacht ausgegliedert und als Unterabteilung unter der Bezeichnung Amt M bzw. Amt Mil dem SS- geführten Reichsicherheitshauptamt (RSHA) unterstellt wurde. Hansens Dienstherren von der SS und der Gestapo hatten sich über dessen Wohlverhalten und Loyalität nicht zu beklagten. Für Hansens Amtschefkollegen Müller von der Gestapo, der später als Leiter einer Sonderkommission mit der Verfolgung der Männer des 20. Juli beauftragt war, bedeutete es einen regelrechten Schock, dass ausgerechnet der pflichtbewusste und nach außen unauffällige Hansen mit zum Verschwörerkreis gehören sollte.5

Ohne Bezug auf den Wertekodex und den Prägungshintergrund des Reichswehroffiziers sind auch Hansens Position und das oft widersprüchlich anmutende Verhalten in der entscheidenden Phase des Widerstandes im Frühsommer 1944 kaum zu verstehen. Im Gegensatz zu anderen Personen oder Gruppen, deren Mitarbeit im Widerstand einer politischen Motivation entsprang, gaben bei Hansen hauptsächlich militärische Beweggründe den Ausschlag. Ganz im Sinne der Reichswehrtradition des „unpolitischen“ Soldatentums betrachtete er die politischen Implikationen des Widerstandes mit großer Skepsis und sprach sich eindringlich dafür aus, dass „‘die Politiker‘, womit vor allem Goerdeler und seine Gruppe gemeint waren, ausgeschaltet blieben“.6 Hier unterschied sich Hansen maßgeblich von Leuten wie Stauffenberg, Moltke oder Goerdeler, die für den Erfolg des Umsturzes eine „überparteiliche Volksbewegung“7, gegebenenfalls unter Einschluss der Kommunisten und Sozialisten für unabdingbar hielten. Hansen dagegen glaubte, „wenn man mit Eisenhower von Soldat zu Soldat sprechen könne, werde man schnell zu einer Einigung kommen.“8

Hansen scheint in der Sondierung der Grundlagen eines solchen Waffenstillstand mit den Westmächten seine eigentliche Bestimmung und seinen Beitrag für den Widerstand gesehen zu haben. So ist z. B. den Berichten des Auslandsmitarbeiters Dr. Otto John, der als Syndikus der deutschen Lufthansa über zahlreiche Kontakte im Ausland verfügte, zu entnehmen, dass Hansen das Anliegen des geheimen Informationsgewinns und der Kontaktaufnahme mit vollem Einsatz, großer Diskretion und Verlässlichkeit erfüllte.9 Es bedarf weiter keiner Erwähnung, dass die Ämter, die Hansen bekleidete, von 1943 – 1944 als Chef der Abteilung Meldewesen im Amt Ausland/ Abwehr und dann als Chef der Abteilung Mil im RSHA, zur Erfüllung solcher Aufgaben Möglichkeiten boten, wie sie an anderer Stelle kaum gegeben waren.

Aus heutiger Sicht wird man in der Frage der Realisierbarkeit von Zielvorstellungen, wie sie Hansen vertrat, zu einer weniger optimistischen Einschätzung gelangen. Wir wissen jetzt mit Sicherheit, dass Friedensfühler deutscher Offiziere auf alliierter Seite stets auf tiefes Misstrauen stießen und dass solche Vorstöße seit dem so genannten Venlo- Zwischenfall von 193910 und spätestens seit der gemeinsamen Forderung der Alliierten nach einer bedingungslosen Kapitulation von 1943 kaum noch als realistisch betrachtet werden können. Trotz der ähnlichen Ausgangspositionen setzte bei Stauffenberg und seinem Umkreis spätestens seit der Invasion vom 6. Juni 1944 ein Prozess des Umdenkens ein, der zur Bereitschaft führte, die Situation unter neuem Blickwinkel zu betrachten und die Erwartungen und das Handeln darauf einzustellen.11 Glaubt man den Berichten von Dr. John, haben Hansen und mit ihm auch Canaris nie vermocht, sich vom Gedanken eines rein militärisch orientierten Separatfriedens mit den Westalliierten zu verabschieden12.


4 Näheres siehe ebd., S. 394

5 ebd., S. 542

6 Hoffmann, Widerstand, S. 295

7 ebd., S. 537

8 ebd., S. 295

9 Die Berichte liegen leider nicht in gedruckter Form, sondern nur maschinenschriftlich vor und sind deshalb schwer verfügbar. Es handelt sich um folgende Titel:

John, Otto, Der 20. Juli 1944, Masch., London o. J., S. 13;

mit geringen Abweichungen ebenso in anderen Berichten, vor allen: Otto John, An Eye Witness’s Account of the 20th July 1944 Plot against Hitler that Failed, Masch., [London] 1946;

-ders., Zum Jahrestag der Verschwörung gegen Hitler ‑ 20. Juli 1944, in: Wochenpost, 18. Juli 1947, S. 4 ‑ 6;

ders., Some Facts and Aspects of the Plot against Hitler, Masch., London 1948, S. 61.

10 siehe dazu: Steinbach, Peter/ Tuchel, Johannes (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 323, Bonn 1994, S.329

11 siehe dazu Hoffman, Widerstand, S. 295

12 ebd., S. 751,Anm. 143