Im Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Widerstand Teil I

Ein Beitrag von Rupert Appeltshauser

Das Schicksal des im Jahre 1904 in Sonnefeld geborenen und in Coburg aufgewachsenen Georg Alexander Hansen und dessen bedeutende Rolle im deutschen Widerstand waren für lange Zeit in Vergessenheit geraten. Der Namen sagte kaum jemandem noch etwas, und selbst im Lexikon des deutschen Widerstandes konnte man ihn vergeblich suchen. Es ist das Verdienst einiger jüngerer Beiträge, das Interesse neu belebt zu haben, wie z. B. einer Facharbeit von Franziska Bartl1 oder eines Aufsatzes von Jürgen Erdmann2, der sich auf umfangreiches, bisher unbekanntes Quellenmaterial stützen kann. Das Bild, das sich aus diesen Darstellungen ergibt, ist das eines pflichtbewussten Offiziers, der unter dem Einfluss von Ludwig Beck und im engen Kontakt zum Verschwörerkreis um Canaris den Weg in den Widerstand fand und seine Haltung mit dem Leben bezahlte. Doch auch das bisher vorliegende Material lässt noch eine Reihe von Fragen offen. Dazu gehören sowohl die genauen Motive, die Hansen zum Widerstand brachten, die Hintergründe seines sehr problematischen Verhältnisses zu Stauffenberg und zu den Attentatsplanungen am 20. Juli 1944 als auch einige Widersprüchlichkeiten des Verhaltens, wie sie sich z. B. im Umgang mit seinen Vorgesetzten vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) oder in den SS- Verhören nach dem Scheitern des Attentats zeigten.

Um der komplexen Persönlichkeit Hansens näher zu kommen, wird man sich also auch weiterhin zu einem erheblichen Teil der Interpretation bedienen müssen. Am ehesten scheinen sich die einzelnen Hinweise seiner Biografie und seines Tuns zu einem Gesamtbild zu fügen, wenn man versucht, vom Berufsethos des typischen Reichswehroffiziers der Weimarer Republik auszugehen. Denn nach allem, was wir wissen, hielt Hansen an den Wertvorstellungen, die ihn nach dem Abitur im Jahre 1923 in die Reichswehr führten und ihn als Berufsoffizier prägten, Zeit seines Lebens fest. Aus ihnen erklärt sich nicht nur die skeptische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und der Kriegspolitik Hitlers. Auch manche der Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten in Hansens Denken und Handeln könnten auf sie zurückzuführen sein.

Zu den typischen Tugenden und Werthaltungen des Reichswehroffiziers der Weimarer Republik zählten Disziplin, Pflichterfüllung, Loyalität, Verlässlichkeit, gepaart mit einer gewissen Politikferne im Sinne des von Seekt propagierten „unpolitischen“ Charakters der Armee. Diese bewusst gesetzte Distanz zur Politik barg einerseits die Gefahr eines elitären, konservativ orientieren Dünkels. Auf der anderen Seite bot sie aber auch einen gewissen Schutz gegen allzu plumpe Versuche der politischen Vereinnahmung. Was Hansen von der Mehrzahl seiner Offizierskollegen unterschied, war die Tatsache, dass er nach der Machtübernahme und der Eingliederung der Reichswehr in die Wehrmacht nicht den Versprechungen der Nationalsozialisten aufsaß und sich der heftig betriebenen Politisierung der Truppe verweigerte. Es gelang ihm, eine kritische Distanz zu bewahren, die ihn später in die Kreise des Widerstandes führte. Wie weit dazu auch die Schandtaten der Nationalsozialisten in Coburg beitrugen, die seit 1929 die Macht im Rathaus besaßen, bleibt Mutmaßung. Eher ist anzunehmen, dass Hansens ausgeprägt wertkonservative Grundhaltung und die Begegnung mit Generaloberst Ludwig Beck die bestimmenden Faktoren waren. Aus einer solchen Haltung heraus konnte er selbst Stauffenberg, dessen frühere Sympathien mit dem Nationalsozialismus kein Geheimnis waren, als einen „überzeugten Nationalsozialisten“ bezeichnen, mit dem „im Hauptquartier“ (also in den Jahren vor 1941) nicht zu reden gewesen sei3.

Was Hansen weiterhin als Reichswehroffizier der alten Schule auszeichnete, war sein ausgeprägter Sinn für Loyalität, der aber nicht unbedingt mit blindem Gehorsam gleichzusetzten war. Ganz im Sinne der preußischen Militärtradition war er zwar von der Notwendigkeit und Gültigkeit von Befehlsstrukturen überzeugt, jedoch nie bis zu dem Punkt, dass deren Befolgung die vollkommene moralische Selbstaufgabe bedeutet hätte. Diese Einstellung eröffnete auf der einen Seite gewisse Möglichkeiten des Doppelspiels, des Lavierens und Taktieres, sie barg aber auch die Gefahr, in Loyalitätskonflikten zerrieben zu werden. Für Hansen traf beides zu.


1 Bartl, Franziska, Georg Alexander Hansen – ein weitgehend unbekannter Widerstandskämpfer aus Coburg, unveröffentlichte Facharbeit, Gymnasium Albertinum Coburg 2005

2 Erdmann, Jürgen, „Mein Platz ist in Berlin“ – Georg Hansen (1904 – 1944), in: Stefan Nöth, (Hrsg.), Coburg 1056 – 2006, S. 279 – 317

3 Hoffmann, Peter, Widerstand – Staatstreich – Attentat, München 1969, S. 773