Am Anfang des Plattenäckers, wenn man vom Hofbräuhaus aus hinaufsteigt, genau gegenüber vom Eckardtsberg und der Veste, lag einst die beliebte Ausflugsgaststätte „Kapelle“, welche am 10. April 1945 durch einen amerikanischen Luftangriff zerstört wurde. Brandbomben und Granaten hatten den beliebten Ort dem Erdboden gleichgemacht. Doch schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hörte die Kapelle auf, eine beliebte Gaststätte zu sein. Der letzte Wirt, Franz Ramster, wurde zum Heeresdienst eingezogen und eine Flakabteilung nahm sie am 26. August 1939 für kurze Zeit in Beschlag. Während des Krieges diente sie gefangenen Franzosen und Belgiern auch als Unterkunft. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war sie Quartier für eine Nachschubeinheit der Wehrmacht.
Ihre Glanzzeit erlebte die „Kapelle“ in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg von 1880 bis 1914. Wie die Eckardtsklause auf dem Eckardtsberg besaß sie einen schattigen Biergarten, von dem man eine wunderschöne Aussicht zur Stadt und hinüber zur Veste Coburg hatte. Die Kapelle als Aussichtsgaststätte war ein viel besuchtes Ausflugslokal. Sie hatte aber noch einen weiteren Vorzug: einen großen Vereinssaal mit einer Bühne. Deshalb trafen sich in ihren Räumen namhafte Coburger Vereine, Handwerksinnungen, studentische Korporationen und Schülerverbindungen zu frohen Feiern und festlichen Veranstaltungen. Ein Musikpavillon fehlte ebenfalls nicht. Im Sommer fanden häufig Konzerte statt, die meist von der Bataillonsmusik des 6. Thüringer Infanterieregiments Nr. 95, welches in Coburg stationiert war, veranstaltet wurden. Die „Kapelle“ hatte aber noch eine weitere Funktion. Sie diente der „Plattenäckergemeinde Coburg“ als „Rathaus“ und Vereinslokal. Die Mitglieder waren Coburger Bürger, in der Hauptsache aber Nachbarn von der „Platten“, die in humorvoller Weise gute Nachbarschaft und fröhliche Geselligkeit pflegten. Die „Plattenäckergemeinde“, die im Vereinsregister eintragen war, bestand von 1899 bis 1939. Ihr Wappen war ein Glatzkopf von hinten (Coburgerisch als „Platten“ bezeichnet) mit einer Henne darauf, eine Anspielung an den Gründer des Vereins Karl Henne. Die „Kapelle“ ist im Jahre 1835 gegründet worden und ist einer der ältesten Schankwirtschaften Coburgs gewesen. Ob der Name von einer ehemaligen Kapelle herrührt, die dort gestanden haben soll, kann nicht mehr festgestellt werden, doch lag unterhalb des Restaurants die sogenannte „Kleine Kapelle“, die als Wohnhaus dienend, in ihrem Aussehen einer Kapelle ähnelte. Im oberen Stockwerk hatte sie neuromanische Bogenfenster, ferner auf dem Dach ein kleines Glockentürmchen mit einem Kreuz darauf. Bis zum Jahre 1876 wechselte die Wirtschaft mehrfach den Inhaber, nachdem sie 1849 abgebrannt war und im Jahr darauf wieder aufgebaut wurde. 1876 erwarb Ferdinand Gothe aus Stadtilm die „Kapelle“. Von da ab hatte die Familie Gothe die Bewirtschaftung fast 70 Jahre inne, wobei das Ansehen, die Größe und die Bedeutung der Gaststätte wuchsen. Nach dem Tod von Ferdinand Gothe im Jahre 1900 übernahm die Führung des Betriebs die Ehefrau Emilie mit Sohn Otto und nach dessen Ableben die Ehefrau Minna bis 1928. Die „Kapelle“ wurde dann verpachtet. Einer der letzten Pächter war, wie schon erwähnt, Franz Ramster. Unter ihm wurde die „Kapelle“ auch ein beliebtes Tanzlokal für die jüngere Generation.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlten der Familie Gothe die Mittel für einen Wiederaufbau der „Kapelle“. Auf dem Grundstück Plattenäcker 3, wo sie einst stand, wurde vom Coburger Geschäftsmann Gerhard Alberti ein komfortabler Bungalow errichtet. Lediglich auf dem Platz der ehemaligen „Kleinen Kapelle“ baute sich die Familie Gothe ein bescheidenes Haus. Dieses trägt heute die Adresse Plattenäcker 2 und befindet sich an der Weggabelung zwischen dem Fußweg des Plattenäckers Richtung Wasserwerk und der Fahrstraße des Plattenäckers, welche heute nur für Anlieger befahrbar ist.
Heute ist von der schönen Aussicht nichts mehr zu sehen. Das Grundstück der „Kapelle“ ist verwildert, der Bungalow steht seit Jahren leer und lieferte vor kurzem negative Schlagzeilen in der örtlichen Presse. So bleibt dem Heimatforscher nur noch die Erinnerung an diese schöne Stätte aufrechtzuerhalten, in der so viele Coburger frohe Stunden verbracht haben.