Der Coburger Mauritius vor 1956

Erna Lendvai-Dircksen: Coburger Mauritius, vor 1956. Städtische Sammlungen Coburg 10182.

1956, als man mit dem 900. erstmals ein Namensjubiläum der Stadt feierte, stellte das offizielle Coburg den „Coburger Mauritius“ in einen explizit reichspatriotischen Kontext.

Dem Herausgeber der Festschrift „Coburg mitten im Reich“ (Schilling 1956/1961) zufolge verbinde die Coburger Skulptur in Deutschlands Mitte die staufische Figur in Magdeburg mit dem von Grünewald gemalten Mauritius in München. Gesamtdeutsch-historische Ausstrahlung habe der Kopf auch formal:

„Die große, von innerem Leben leuchtende Form dieses Antlitzes zeigt auf deutliche Weise ein südthüringisch-fränkisches Volksgesicht: ein mehr lutherischer als bachischer Thüringerkopf blickt uns an, in welchem das legendäre Urbild des thebäischen Ritters mit dem Wesensbild eigenen Volkstums verschmolzen ist.“

Diese Einschätzung des seinerzeit führenden Coburger Historikers teilte auch eine Altmeisterin der völkischen Fotografie, Erna Lendvai-Dircksen, die – 1945 nach Coburg geflohen – dort ihr Lebensprojekt der Dokumentation des „Deutschen Volksgesichtes“ fortführte. Der „Coburger Mauritius“-Kopf ist ihren Worten zufolge eine „seltene Urkunde lebensgeschichtlicher Zusammenhänge, die ein wunderbares Licht in die schöpferische Verwandlung eines zutiefst religiös Verehrten in das Selbstporträt der eigenen Volkstumszugehörigkeit wirft. […] Die Verschmelzung der hohen Idee in der Gestalt eines Heiligen in die eigene Körperlichkeit oberfränkischer Prägung ist ein ergreifendes Zeugnis in der Kraft des Symbols von der Einheit des Seins, von der Verwandlung in das Höhere.“ (Lendvai-Dircksen, 1958)

In ihrer Ausstellung „Das fränkische Anlitz“ hat sie auch den Mauritius-Kopf integriert und die ca. 80 Aufnahmen umfassende Schau zum 900-jährigen Jubiläum im Coburger Rathaus gezeigt. (Städtische Sammlungen Coburg 1172–1248, 2214)

Diese Zitate umreißen das politisch-kulturelle Regelwerk des offiziellen Coburg während der frühen Phase des Kalten Krieges: Der marginalisierte Nachkriegs-Status der Stadt im Grenzland sei eine inakzeptable Erniedrigung. Der historische Reichspatron Mauritius sei als Wappensymbol der mediale Erinnerungs-Anker und Garant für die Coburg historisch zukommende zentrale Rolle „im Reich“, für die Stadt, die seit Luthers Aufenthalt mehrfach eine sehr aktive Rolle auf dem Weg zur nationalen Einigung gespielt hätte und im Rahmen der nun zu erringenden Wiedervereinigung erneut einnehmen sollte. So wurde der „Coburger Mauritius“ als das passgenaue symbolische Medium in den Wappenschild gehoben, das das Ziel des souveränen, intakten deutschen „Reiches“ mit Coburg als nicht nur geografischem Zentrum ausdrücken sollte.