Ein Präzeptor beschwert sich

Man nannte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die jungen Dorfschullehrer Präzeptoren. Den jungen Dorfschullehrern der damaligen Zeit ging es sehr schlecht. Schließlich hat einer von ihnen den Mut gefunden und eine Beschwerde an die Landesregierung gerichtet. Darin schildert er die schier unglaublichen Schulverhältnisse in seinem Dorf unweit von Neustadt sowie sein eigenes trauriges Leben und weist darauf hin, dass es seinen Kollegen in vielen Fällen ebenso gehe. Eine Abschrift aus dem Jahre 1818 gelangte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das Privatarchiv eines Courger Volksschullehrers, dessen betagte Töchter sie mir freundlicherweise zur Verfügung stellten.

Eine Gemeindeschmiede mit einem Tanzsaal darüber war den Dörflern viel wichtiger als ein Schulhaus. Der Lehrer war gezwungen, in einem Schusterhaus 70 bis 80 Kiner zu unterrichten. Das geschah dort aber nicht in einem gesonderten Raum, der gleichzeitig Werkstatt, Wohn- und Schulstube war. Darin tummelten sich allerlei „Geziefer“, wie Hühner, Gänse und Stallhasen. Dicht vor der Stube meckerten die Ziegen und grunzten die Schweine. Der Schuster klopfte sein Leder oft so geräuschvoll, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Häufig kamen während des Unterrichts Leute, die ihre Schuhe abholten, um den Preis feilschten und ausgedehnte Gespräche führten. In den Röhren des Kachelofens standen Töpfe mit Kochwäsche und Viehfutter. Die verpestete Luft und die grässliche Hitze machten den Unterricht zur Qual. Wenn der Präzeptor die Fenster öffnen wollte, musste er sich derbe Grobheiten gefallen lassen. Die Dörfler selbst nahmen keinen Anstoß an den Zuständen. Ihnen wäre es lieber gewesen, wenn ihre Kinder statt Schulbesuch das Vieh auf der Weide hätten hüten können. Den Besuch der Schule betrachteten sie als einen unnötigen Zwang und beriefen sich auf die Vergangenheit, in der nur im Winter Schule gehalten wurde. Und das besorgten in primitivster Weise die Hirten, die im Winter Zeit dazu hatten.

Ebenso unwürdig wie die Schulstube war auch das Schlafkämmerchen unterm Dach, das man dem Präzeptor zumutete und wo er nächtlicherweise den Wanzen und Schwalben preisgegeben war. Wenn die Bettüberzüge einmal gewaschen wurden, musste er auf dem blanken Stroh schlafen. Im Winter war es bitterkalt und der Wind blies durch die Ziegeln. Die täglichen Mahlzeiten erhielt der Junglehrer reihum bei den einzelnen Familien im Dorfe. „Selten war die Kost reinlich zubereitet“, schreibt der Beschwerdeführer. „In den meisten Fällen musste ich mit den Familienangehörigen aus einer Schüssel essen. Die Mahlzeit wurde nicht selten in Töpfen zubereitet, in denen vorher schmutzige Wäsche gekocht wurde. Dazu kam noch, dass die kleinen Kinder während der Mahlzeiten ihre Ausleerungen unterm Tisch oder in der Stube auf dem langjährigen Schmutz verrichteten, ohne dass man danach an eine Reinigung dachte.“

Unter solchen Umständen ging der Präzeptor ebenso hungrig vom Tisch weg, wie er gekommen war. Es war keine Seltenheit, dass ihm oft Fleisch von krepierten Tieren vorgesetzt wurde, sodass er sich danach häufig übergeben musste.

Sehr schlimm sah es mit der Besoldung aus. Der Präzeptor erhielt keinen Lohn von der Regierung oder der Gemeinde. Die Eltern mussten ihn direkt bezahlen. Sie rückten das Geld nur pfennig- oder groschenweise nach mehrmaligem Bitten heraus. Immer wieder musste der Lehrer durch die Kinder mahnen lassen. Die berechtigte Forderung wurde in vielen Fällen übel ausgelegt, obwohl mancher Vater im Wirtshaus am Abend mehr vertrank, als Schulgeld für längere Zeit ausmachte. Mit 10 bis 12 Gulden musste sich das arme Schulmeisterlein im Jahr begnügen. Der Schluss der Beschwerde lautete in deutscher Schrift:

„Unmöglich können Ew. Exzellenz Hochwohlgeborene und Hochwürdige solche Übel, welche so nachteilige Folgen für Lehrer und Kinder haben, länger dulden. Daher wir uns in tiefster Ehrfurcht Hochdenselben nahen und bitten untertänigst um gnädige Abstellung dieser angeführten gerechten Beschwerden und dass uns

  1. Eine gesonderte Schulstube gegeben werden muss, wo die Gemeinde so arm wäre ein Schulhaus zu bauen.
  2. Dass uns der wenige Lohn, wenn er fällig durch den Schulzen im Ganzen verabreicht werden muss.

Ernst Eckerlein